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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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leicht zurechtfindet.«
    »Wie kommen wir hinein?«, fragte Julie.
    Fédéric führte sie zu einem schlichten Mausoleum, das kaum mannshoch war. Dort fuhr er mit den Händen am Sockel herum, und nach einigen Augenblicken klimperte ein Schlüsselbund in seiner Hand. Ein rostiges Quietschen zerriss die Stille, als er das Grabmal aufschloss, und Julie fürchtete, ein Friedhofswärter könnte sie hören.
    »Keine Sorge, der weigert sich, nachts hierzubleiben, seit sie die Gräber aufgerissen haben«, sagte Fédéric, während sie nacheinander die Grabkammer betraten. »Vorsicht, nicht auf die rechte Seite«, warnte er dann.
    Der Innenraum war gerade groß genug, um sie alle aufzunehmen. Im schwachen Mondlicht, das durch den Eingang fiel, sah Julie in einer Nische, wohl ursprünglich für eine Urne bestimmt, zwei Laternen stehen. Fédéric zündete sie an und gab eine davon Ruben. Jetzt sahen sie auch das rechteckige Loch, das im Boden klaffte und aus dem das obere Ende einer Leiter ragte.
    Fédéric stieg als Erster in die Tiefe, Ruben folgte ihm schweigend. Nicolas reichte Julie die Hand und half ihr beim Abstieg, während Songe einfach hinuntersprang.
    Es ging mehrere Meter beinahe senkrecht hinab, dann fanden sie sich in einem gemauerten Gang wieder. Die Laternen warfen ein gelbes Licht an die Wände, erleuchteten aber nur ein kleines Stück der Umgebung. »Wenn wir uns hier verlaufen, können wir uns gleich zu den Gebeinen legen«, sagte Nicolas.
    »Die Steinmetze haben in die Wände gekratzt, wohin die Gänge führen und welche Straßen darüber liegen. Also kein Grund, sich ins Hemd zu machen«, erwiderte Fédéric.
    »Wir werden sehen, wer sich hier als Erster ins Hemd macht«, murmelte Nicolas.
    Nach etwa zwanzig Schritten mussten sie noch einmal hinunter, diesmal auf einer Treppe, die in den Fels gehauen war. Die Luft wurde merklich kühler und es roch muffig, dann erreichten sie die unterste Ebene. Ein langer, erstaunlich breiter Gang führte sie in eine Halle, groß wie ein Ballsaal. Man hatte beim Herausschlagen des Gesteins dicke Stützpfeiler stehen gelassen, aber Julie hatte dennoch das unangenehme Gefühl, die Decke könnte jeden Augenblick auf sie herabstürzen. Jeder Schritt klang überlaut, und unwillkürlich bewegten sie sich so leise wie möglich. Als Fédéric die Lampe hob, schälten sich aus dem Dunkel Stapel von Knochen, die entlang der Wände aufgeschichtet waren, gekrönt von menschlichen Schädeln.
    »Schauerlich!« Ruben verzog das Gesicht.
    »Du wirst auch nicht anders aussehen, wenn du mal tot bist«, sagte Fédéric.
    Julie verzichtete darauf, anzumerken, dass Ruben niemals sterben würde, und folgte ihrem Freund durch den einzigen Weg, der aus der Halle hinausführte. Lange Zeit liefen sie schweigend durch die steinernen Korridore und versuchten, sich mit Hilfe der Markierungen in Richtung Süden zu halten. Es war kalt und Nicolas überließ Julie seine Samtjacke. Sie mussten Treppen hinauf oder hinunter steigen, einige Male fanden sie sich in Sackgassen wieder und mussten umkehren. Immer wieder stießen sie auf Knochenansammlungen, manche ordentlich gestapelt, andere in wilden Haufen.
    »In Paris wird zu viel gestorben«, erläuterte Fédéric, »deshalb räumen sie die alten Gräber aus und bringen die Knochen hier runter.« Seine Stimme fing sich in den Gängen und kehrte als schauerliches Echo zu ihnen zurück.
    Inzwischen musste es weit nach Mitternacht sein, sie waren alle erschöpft und beschlossen, sich in einer der Kammern, die vom Hauptgang abzweigten, auszuruhen. Julie setzte sich auf den von Steinstaub bedeckten Boden, ohne auf ihr Kleid zu achten. Als ihr Magen knurrte, dachte sie sehnsüchtig an die Fettkringel von der Place de Grève.
    Neben ihr stellte Fédéric die Laterne auf einem Stapel Oberschenkelknochen ab und benutzte denselben als Rückenlehne. Er wühlte in seiner Tasche, zog eine Wasserflasche aus Blech heraus und reichte sie Julie. Erst jetzt merkte sie, wie durstig sie war. Sie zwang sich aber, nur wenige Schlucke zu trinken, bevor sie die Flasche weitergab.
    »Darf ich mal was fragen?« Alle Blicke wandten sich Ruben zu, der bis eben still an der einzig freien Mauer der kleinen Kammer gelehnt hatte. »Woher weißt du, dass unser Vater die Menschen unterjochen will? Das hast du doch auch nur gehört.«
    »Von Nicolas, der die Pläne der Seraphim durch seine Mutter kennt«, entgegnete Julie. »Glaubst du ihm etwa nicht?«
    Ruben zuckte mit den Schultern.

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