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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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Gesicht in alle Richtungen. Von links schien ein kaum spürbarer Hauch zu wehen. Er leckte seinen Zeigefinger ab und hielt ihn vor sich. Die linke Seite wurde kühl. Dort ging es entlang!
    Auf diese Weise verfuhren sie an jeder Kreuzung, und tatsächlich wurde der Luftzug kräftiger. Dann hörten sie Wasser. Zuerst nur ein kaum wahrnehmbares Plätschern, verstärkte es sich jedes Mal, wenn sie erneut die Richtung wechselten. Ruben fiel auf, dass es auch nicht mehr ganz so dunkel war. Und als er vor sich einen Torbogen erkennen konnte, hinter dem ein graues Zwielicht herrschte, atmete er auf.
    »Ein Kanal. Dort, wo das Wasser hinfließt, gibt es vielleicht einen Ausgang«, sagte Fédéric. Er spähte in beide Richtungen, doch die Rinne verlor sich im Dunkel.
    »Oder dort, wo es herkommt.« Nicolas blickte Julie an. »Welche Richtung?«
    »Wir wollen doch raus aus der Stadt, oder?« Alle wandten sich Ruben zu. Er fuhr sich nervös durchs Haar. Hoffentlich würden sie ihn nicht auslachen, sondern auch dieses Mal auf ihn hören. »Dann sollten wir dahin gehen, wo das Wasser herkommt. Es sieht sauber aus. Bestimmt wird es in die Stadt hineingeleitet, und nicht hinaus.«
    »Schlauer Junge«, sagte Nicolas, und Ruben lächelte stolz.
    Nachdem sie ihren Durst an dem kalten, klaren Wasser gestillt hatten, folgten sie seinem Lauf stromaufwärts. Die Rinne wurde breiter, aus dem Plätschern wurde ein Rauschen. Der trockene Randstreifen wurde immer schmaler, und schon bald mussten sie in knöcheltiefem Wasser waten, das ihnen nach einiger Zeit bis zu den Waden stieg. Es war so kalt, dass Rubens Haut brannte. Alle hielten ihre Schuhe in der Hand, Julie hatte sich den hinteren Saum ihres Kleides durch die Beine gezogen und in ihren Gürtel gesteckt. Ihre Katze hatte sie auf den Arm genommen.
    Nach endlos langer Zeit spürte Ruben einen starken Luftzug. Obwohl es nicht heller wurde, war Ruben sicher, dass es ganz in der Nähe eine Öffnung geben musste. Dann fiel ihm ein, dass es wahrscheinlich schon wieder Abend war. Die Stufen stiegen nun steil an und wurden schmaler, und dann tauchte die kleine Gruppe ebenso wieder aus dem Untergrund auf, wie sie hineingelangt war: durch ein Loch im Boden, nur, dass sie alle dieses Mal keine Leiter, sondern eine vom Wasser glitschige Treppe hinaufsteigen mussten.
    Ruben stützte sich an der Wand ab und streckte als Erster seinen Kopf durch die runde Öffnung, die gerade groß genug war, um einen schlanken Menschen durchzulassen. Neben ihm ragte ein dickes Kupferrohr aus der Wand, aus dem sich ein steter Wasserstrahl ergoss, der den Kanal speiste.
    Es war hell genug, um etwas zu erkennen, und als Ruben sich umsah, erblickte er über sich eine gewölbte Decke mit einem runden Fensterloch, durch das graues Dämmerlicht fiel. Offensichtlich befanden sie sich in einem Brunnenhaus. Er musste noch eine niedrige Mauer überwinden, die das Loch umgab, dann endlich konnte er seine vor Kälte tauben Füße aufs Trockene setzen. Er drehte sich um und wollte Julie helfen, doch Nicolas und Fédéric wetteiferten bereits darum, ihr die Hand zu reichen. So stellte er seine Schuhe ab und sah sich um. Das Brunnenhaus war klein, neben dem Wasserablauf war gerade genug Platz für sie alle. Ruben lehnte sich gegen die Wand aus unverputzten Feldsteinen, um den anderen nicht im Weg zu stehen
    Nicolas ging zum Ausgang, einer Pforte aus dicken Holzbohlen, und rüttelte daran. Sie war verschlossen. Außer der Öffnung im Dach gab es kein Fenster.
    Ruben lehnte den Hinterkopf an die Wand. Ihm war kalt und seine Kleider fühlten sich klamm an. Er war gleichzeitig todmüde und hellwach. Immer wieder kehrten die schrecklichen Bilder zurück: die geflügelten Ungeheuer und das Umherirren in der Dunkelheit. Vor den anderen wollte er es nicht zeigen, aber die Angst saß ihm in den Knochen. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er sich die Comtesse zur Feindin gemacht hatte. Die Frau, die ihm eigentlich nur Gutes getan hatte.
    Julie kam zu ihm herüber. Ihr Gesicht war blass und sie hatte Schatten unter den Augen. Im Arm hielt sie die weiße Katze, über deren Anwesenheit Ruben sich schon die ganze Zeit wunderte, weil sie ihnen folgte wie ein Hund. Der Blick aus ihren Bernsteinaugen war beunruhigend klug.
    »Songe will erkunden, wie es draußen aussieht«, sagte sie.
    Ruben verstand nicht, was seine Schwester damit meinte. Hatte sie schon vergessen, dass die Tür abgeschlossen war? Dann sah er, wie die Katze sich auflöste, bis nur

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