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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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ein zweites Mal ebenso viel Glück haben würden.
    Obwohl sein Arm dank Rubens Magie schnell heilte, konnte er ihn schlecht bewegen und benötigte Hilfe, wenn sie über gestürzte Stämme klettern mussten, was nicht zur Verbesserung seiner Laune beitrug. Er ließ nur Julie an sich heran und trug ansonsten das zur Schau, was Fédéric als »adeliges Gehabe« bezeichnete.
    »Ich möchte dich mal sehen, Guyot, wenn dir ein Cherub den halben Arm abgebissen hat«, sagte Julie und war zufrieden, dass sie dadurch Fédéric zum Schweigen brachte.
    Sie hatten schwerwiegendere Probleme als gegenseitige Abneigungen, und das größte davon war momentan der Hunger. Julie hatte nicht geahnt, dass es so mühsam war, sich in freier Natur am Leben zu halten. Ihre einzige Waffe war Fédérics Schnitzmesser, aber das Wild wartete keineswegs darauf, sich in dessen Klinge zu stürzen. Ohne Rubens Fähigkeit, essbare Pflanzen von giftigen zu unterscheiden, wären sie wahrscheinlich verhungert. Songe brachte ihnen gelegentlich einen Vogel, den sie über einem kleinen Feuer rösteten, doch das Fleisch reichte gerade, um ihren Appetit noch mehr anzuregen.
    Drei Tage, nachdem sie Viroflay verlassen hatten, trieb der Hunger sie in die Nähe eines Gehöfts, das einsam in einem kleinen Tal lag.
    Julie hielt es für ungefährlich, dort anzuklopfen und um etwas zu Essen zu betteln, doch es kostete sie viel Überwindung. Jetzt war sie nicht anders als die spitzgesichtigen Kinder in der Rue Mouffetard, die auf Almosen hofften und auf die Güte anderer Menschen angewiesen waren.
    Es lag noch Morgennebel über den Weiden, doch auf den Feldern hinter den Gebäuden waren bereits mehrere Männer bei der Arbeit. Julie war erleichtert, dass so wohl nur Frauen auf dem Hof sein würden, deren Herz sich leichter rühren lassen würde. Ihr Magen fühlte sich hohl an und sie presste sich beide Fäuste in den Bauch, um den Schmerz zu dämpfen.
    Sie ließen Nicolas im Schutz des Waldes zurück und hielten zu dritt auf das größte Haus zu. Auf dem Weg zur Hintertür störten sie eine Hühnerschar in ihrem Gatter auf. Julie ertappte sich bei der Vorstellung, welch köstlichen Braten man aus dem Federvieh zubereiten könnte. An der Tür des einfachen Bauernhauses wurde sie nach vorne geschoben.
    »Ein Mädchen ist viel mitleiderregender«, sagte Fédéric, dann verschwanden er und Ruben um die Hausecke.
    Julie wand sich innerlich; nie hatte sie geglaubt, einmal betteln zu müssen. Zaghaft pochte sie an die Tür, und kurze Zeit später näherten sich Schritte. Sie schluckte. Die Tür wurde geöffnet und ein rundes, rotes Gesicht lugte misstrauisch heraus. Als die Bäuerin sah, dass der Besucher nur ein Mädchen war, trat sie auf die Schwelle und stemmte die Arme in die Seiten. Um ihren Körper floss ein giftiges Grün, aber Julie nahm auch Flecken von ängstlichem Schwarz darin wahr.
    »Was willst du?«
    Sie lächelte nicht, ihre Brauen waren zusammengezogen und sie musterte Julie von den erdverkrusteten Schuhen bis zum verklebten Haar. Der Blick machte Julie bewusst, wie sie aussehen musste, und sie schämte sich noch mehr.
    »Verzeihung, Madame, aber hättet Ihr wohl etwas altes Brot übrig?« Die Worte klebten an ihrem Gaumen und sie hatte Mühe, sie über die Lippen zu schieben.
    »Was wir übrig haben, kriegt bei uns das Schwein«, sagte die Frau barsch.
    »Ich will nichts umsonst«, antwortete Julie. »Ich kann arbeiten, und meine Brüder auch.« Sie winkte Fédéric, dessen Kopf um die Hausecke lugte, und die beiden kamen hervor.
    »Lieber Himmel, noch mehr Strolche!« Einen Moment lang schien es, als würde die Frau sich erweichen lassen, doch dann wurde ihr Gesicht wieder hart. »Wir haben nichts zu verschwenden, die Zeiten sind schwer, da muss jeder auf sich selber schauen. Macht euch davon, bevor ich den Hund auf euch hetze!«
    Sie schlug die schwere Holztür zu. Julie musste schlucken. So dünnhäutig hatte der Hunger sie gemacht, dass die grobe Art der Frau sie beinahe zum Weinen brachte. Am liebsten hätte sie sich auf dem Boden zusammengerollt, um nie mehr aufzustehen. Alles war sinnlos. Sie würden verhungern, bevor sie ihr Ziel erreichten. Und wenn sie nicht verhungerten, würden sie am Ziel ihrer Reise so schwach sein, dass der Erzengel nur pusten müsste, um sie zu besiegen.
    »In meinem Dorf gab’s auch solche Bauern«, sagte Ruben. »Die fressen lieber, bis sie platzen, bevor sie anderen was abgeben.«
    Julie sah ihren Bruder an, dessen Augen

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