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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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gegen seine Stirn flog.
    »Ich war es, die das Huhn festgehalten hat!«, rief Julie.
    So ausgelassen hatte Ruben seine Schwester bisher noch nicht erlebt, und so gefiel sie ihm viel besser, als wenn sie sich als Anführerin aufspielte und alle herumkommandierte. Dabei hatten weder sie noch die beiden anderen eine Ahnung, wie man außerhalb der Stadt überlebte. Gewohnt, alles zu kaufen, konnten sie nicht einmal giftige von essbaren Pflanzen unterscheiden. Er war es gewesen, der unterwegs Pfifferlinge, Huflattich und Maßliebchen gepflückt hatte, die eine köstliche Beilage zu dem gebratenen Huhn abgegeben hatten.
    Jetzt saßen sie in einer kleinen, moosbewachsenen Senke, rundherum von dichtem Buschwerk und Bäumen umgeben, und teilten sich die Ausbeute. Dass er es gewesen war, der für die erste richtige Mahlzeit seit Tagen gesorgt hatte, hatte bewirkt, dass Ruben sich ein wenig besser fühlte. Es war eine dumme Idee gewesen, Essen zu stehlen, obwohl der Hofhund ganz in der Nähe war, aber er war so erpicht darauf gewesen, den anderen zu beweisen, dass er sich nützlich machen konnte. Bisher war er sich völlig überflüssig vorgekommen: Fédéric behandelte ihn wie einen kleinen Jungen, Nicolas ignorierte ihn die meiste Zeit, und Julie kam gar nicht auf den Gedanken, ihn bei ihren Entscheidungen um Rat zu fragen. Er hatte sogar darüber nachgedacht, umzukehren und zurück nach Paris zu gehen, zurück zur Comtesse d’Ardevon. Doch vielleicht würde nun alles besser werden.
    Julie warf ihm ein Lächeln zu, während sie an einem Flügel nagte. »Woher weißt du all diese Sachen über essbare Pflanzen?«
    »Die Bauern, die mich aufgezogen haben, hatten nie genug, um uns Kinder satt zu kriegen«, antwortete er. »Wir sind oft im Wald gewesen, um nach Beeren oder Pilzen zu suchen.«
    »Waren sie freundlich zu dir?«
    Ruben schüttelte den Kopf. »Nein. Darum bin ich ja abgehauen.«
    »Es tut mir leid, dass du es so schwer hattest«, sagte Julie.
    Ruben zuckte die Achseln. »Kannst ja nichts dafür.«
    »In St. Marcel aufzuwachsen war auch kein Zuckerschlecken«, warf Fédéric ein, der mit gekreuzten Beinen dasaß und an einem Stück Holz herumschnitzte.
    »Aber Hunger haben wir nicht gelitten«, widersprach Julie.
    »Du vielleicht nicht.« Fédéric sah nicht auf, sondern konzentrierte sich ganz auf seine Arbeit. »Bei uns gab’s oft genug nur Brühe.«
    »Das wusste ich nicht«, sagte Julie leise.
    »Schon gut … Und du, Nicolas? Was kommt bei euch feinen Leuten auf den Tisch?«, fragte Fédéric.
    Nicolas, der bisher im Moos gelegen hatte, richtete sich auf. »Als Vorspeise ein Spargelsüppchen, danach gebratenes Rebhuhn mit Füllung und Trüffelsoße, gefolgt von verschiedenem Gemüse in Rahm, darauf Nierenpastete und Hasenragout, Weinbergschnecken mit Sardellenpaste, und zum Nachtisch Mandelkonfekt, Zitronentorte und verschiedenes Obst. Das an Wochentagen, am Sonntag fällt das Essen natürlich etwas üppiger aus … Ist etwas nicht in Ordnung?«
    Ruben wurde bewusst, dass er – ebenso wie Fédéric und Julie – Nicolas mit offenem Mund anstarrte. Unter seiner Zunge hatte sich ein See von Speichel angesammelt. Er erinnerte sich an all die Köstlichkeiten, mit denen er im Haus der Comtesse verwöhnt worden war und schluckte.
    »Herzlichen Dank, Quarkgesicht«, sagte Fédéric. »Jetzt schmecken uns die rohen Pilze noch mal so gut.«
    »Du hast gefragt«, entgegnete Nicolas.
    Julie verdrehte die Augen. »Ihr habt mir versprochen, dass ihr Frieden haltet, schon vergessen?«
    »Ich habe nicht angefangen.« Nicolas stand auf und entfernte sich ein Stück.
    Ruben fiel auf, dass Julie ihm nachsah und ihr Gesicht dabei ganz weich wurde. Jetzt erhob sie sich auch und ging zu ihm. Er fragte sich, was sie an ihm fand. Er konnte Nicolas ebenso wenig leiden wie Fédéric es tat.
    Der warf ihm jetzt einen Blick zu und verdrehte die Augen. Ruben grinste und erwiderte den Blick. »Was für ein Angeber«, sagte er, stand auf und setzte sich neben Fédéric. »Danke, dass du mir heute geholfen hast.«
    Der Ältere zuckte mit den Achseln. »Gute Gelegenheit, das Quarkgesicht zu ärgern.« Er sah nicht auf und schnitzte weiter an dem Holz herum, das in seinen Händen zu einer Miniaturkatze geworden war.
    »Du bist begabt«, sagte Ruben.
    »Die Übung macht’s. Wenn du willst, zeig ich dir mal, wie man schnitzt.«
    »Gerne.« Wärme stieg in Ruben auf. Wenn Fédéric zu ihm hielt, würden Nicolas seine dummen Bemerkungen bald

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