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Prophezeiung der Seraphim

Prophezeiung der Seraphim

Titel: Prophezeiung der Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Vassena
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frei, Alis«, flüsterte sie. »Geh zurück in die Wälder und versteck dich gut vor den Menschen.«
    Alis streckte den langen Hals vor und erhob sich ungelenk, nur zögerlich setzte es seine ersten Schritte.
    »Du lässt es einfach so gehen?«, fragte Fédéric, der zurücktrat, als Julie Alis nach draußen folgte.
    »Niemand sollte eingesperrt sein, der nichts Schlimmes getan hat«, sagte Julie.
    Alis war jetzt auf der Rampe und sprang mit einem kleinen Hüpfer ins Gras. Er hob seine Flügel ein wenig, drehte aber immer wieder den Kopf zu Julie.
    Wohin? Nichts weiß Alis. Bei Mädchen bleiben.
    Auf einmal hörten sie von der anderen Seite des Karrens ein dröhnendes Rülpsen, dann ein Plätschern. Fédéric schnitt eine Grimasse.
    Julie wedelte wild mit den Händen, um Alis zu bedeuten, er solle davonfliegen, doch stattdessen machte er einen Schritt auf sie zu.
    Alis nicht allein sein will.
    Na gut, dann versteck dich bei der Kapelle hinter den Fel dern! Es ist nicht weit. Ich komme zu dir, sobald ich kann. Sie wies mit dem Finger die Richtung und endlich entfaltete Alis seine Schwingen.
    Julie hielt den Atem an, so wunderbar war anzusehen, wie das Tier auf weichen Tatzen Anlauf nahm und sich lautlos in den Nachthimmel erhob.
    »Wass’n das?«, klang Lausbarts Stimme verwaschen von der anderen Wagenseite. Offensichtlich war er völlig betrunken. »He, das is’ ja mein Kalora …, Kaladro …!« Es tat einen dumpfen Schlag, als ein schwerer Körper zu Boden fiel.
    »Ich hoffe, er ist in seiner eigenen Pisse gelandet«, sagte Fédéric grinsend, nahm Julies Hand und zog sie mit sich.
    Erst als sie hinter einem Gebüsch in Sicherheit waren, ließ Julie das Kichern heraus, das in ihrer Kehle kitzelte. Auch Fédéric lachte. »Der wird morgen früh dumm aus der Wäsche schauen, wenn er aufwacht und sein Wunder des Waldes sucht.«
    Immer noch hielt er Julies Hand, und jetzt machte er einen Schritt vorwärts, sodass die Strahlen seiner Aureole sie berührten. Der Mond glitzerte in seinen Augen, als er sich zu ihr herunter beugte, und sein Atem streifte ihre Wange. Sie hatte das Gefühl, sie sollte besser davonlaufen, aber dann berührten Fédérics Lippen ihren Mund so leicht, dass sie es kaum spürte. Zwei Herzschläge lang standen sie so, dann richtete er sich wieder auf.
    »Entschuldigung«, sagte er rau. »Komm, ich bring dich zu Javiers Zelt.«
    Julie war zu verwirrt, um etwas zu sagen, und so gingen sie schweigend nebeneinander her. Fédérics erster Kuss zählte nicht, weil er unter ihrem Zauber gestanden hatte, aber jetzt tat er es nicht. Durfte sie sich überhaupt von ihm küssen lassen, obwohl Nicolas erst vor wenigen Tagen dasselbe getan hatte? Doch auch jener war nicht bei sich gewesen. Julie schnaubte leise: Diese Küsserei machte alles viel zu kompliziert – besser, sie hielt sich in Zukunft davon fern!
    Vor Javiers Zelt sagte Fédéric »schlaf gut« und ging dann ohne sich umzublicken davon. Julie sah ihm nach und berührte mit den Fingerspitzen ihre Lippen, auf denen sie noch seinen Kuss spürte.
    Olga wäre beinahe abgestürzt. Bis zu der Stelle, an der sie auf dem Seil eine Drehung um sich selbst machen und dann in einen Spagat sinken sollte, hatte sie ihre Nummer tadellos absolviert. Wie sie es tausendmal geprobt hatte, sprang sie vom Seil ab, ihre Waden spannten sich, einen Moment lang schwebte sie in der Luft, um im Herunterkommen ihre Beine zu strecken, eines nach vorne, eines nach hinten. Ruben hatte das Seil vor dem Auftritt besonders straff gezogen. Als sie aufkam, hielt sich Olga auch einen Augenblick – doch dann rutschte sie ab, und diesmal war es keine Absicht.
    Ein Stöhnen ging durch die Zuschauerreihen, aber Olga gelang es, sich am Seil festzuklammern. Sie zog sich hoch, setzte sich auf das Seil wie auf eine Schaukel und verneigte sich lächelnd, als gehörte auch dieser Beinahe-Absturz zum Programm. Das Publikum trampelte mit den Füßen und johlte, als sie anschließend die Leiter hinunterstieg und am Boden noch einige Salti schlug, um ihren Ausrutscher vergessen zu machen.
    Nur Ruben sah, wie angespannt ihr Gesicht hinter ihrem strahlenden Lächeln war.
    Nachdem Julie mit Javier verschwunden war, hatte er sich zu den anderen Zuschauern gesellt, weil er Olgas Auftritt keinesfalls versäumen wollte. Jetzt biss er die Zähne zusammen. Er kannte Olgas Vater gut genug, um zu wissen, dass sie für ihr Missgeschick würde büßen müssen.
    Adam Nowak war während der Vorstellung mit seiner

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