0857 - Die Schnitterin
Das Licht der sich drehenden Warnlampe auf den Dächern der Polizeifahrzeuge erreichte nicht nur die Beamten und Sanitäter, es streifte auch das Gesicht des Reporters Bill Conolly und fuhr kurze Zeit später über meine Augen hinweg.
Wir standen da und konnten nichts tun. Es war eine Situation, die uns bedrückte, denn wir waren die ersten Personen an der Unfallstelle gewesen und hatten hilflos mit ansehen müssen, daß es uns nicht möglich gewesen war, den Fahrer aus dem Klumpen Blech hervorzuholen. Da hatte es nichts mehr zu retten gegeben.
Bill hatte noch den Löscher aus seinem Porsche geholt und Schaum über das Wrack gesprüht. Mehr hatten wir wirklich nicht für den Fahrer tun können.
Es hätte ebenso eine Fahrerin gewesen sein können, aber das war nicht mehr zu erkennen.
Der Fahrer des Trucks, der letztendlich Schuld an diesem Unfall gewesen war, hatte seinen mit Milch beladenen Kühlwagen noch von der Straße reißen können. Er war in das flache Gelände hineingefahren, ohne bei seiner vorherigen Aktion einen anderen Wagen in Mitleidenschaft zu ziehen. Der Mann stand unter Schock. Ein Arzt kümmerte sich um ihn. Ich hatte mir vorgenommen, noch mit ihm zu sprechen. Da wir uns hinter dem verunglückten Fahrer aufgehalten hatten, war uns nicht verborgen geblieben, wie dieser Truck plötzlich die Straßenseite gewechselt hatte und es zu diesem Zusammenstoß gekommen war.
Bill Conolly beschäftigte sich mit den gleichen Überlegungen wie ich. Er sagte: »Ob der Mann betrunken gewesen ist?«
»Ausschließen kannst du nichts.«
»Oder übermüdet.«
»Das ist wahrscheinlicher.«
Bill fuhr durch sein Haar. »Jedenfalls ist es schrecklich. Warte du hier, John. Ich werde vom Wagen aus Sheila anrufen und ihr sagen, daß wir später kommen.«
»Tu das.«
Auf mich wartete niemand. Ich hatte Bill sowieso nur einen Gefallen tun wollen und war mit ihm zu diesem Konzert gefahren.
Da spielte in der Nähe von London eine alte Band, die wir noch aus unseren Studententagen kannten. Richtig schöner Rock, mit alten Melodien und Rhythmen, die man heute noch kannte.
Und die Jungs hatten es auch nicht nötig gehabt, auf großartige, Verstärkeranlagen zurückzugreifen. Sie machten noch die echte Live-Musik, wie man sie von damals gewohnt war.
Ein netter Abend war es gewesen, bis zu diesem Unfall, dessen Mittelpunkt dieser völlig zerbeulte und zusammengedrückte Haufen Blech bildete, der einmal ein Auto gewesen war und jetzt wie eine mahnende und schaurige Plastik im Licht der Scheinwerfer stand, wobei das Zischen der Schweißbrenner die anderen Geräusche übertönte, auch die Stimmen der Männer, die nichts mehr hatten retten können.
Ich hatte mich ausgewiesen. Man wußte, wer ich war. Möglicherweise stand mir der Arzt, zu dem ich ging, auch deshalb Rede und Antwort.
»Wissen Sie schon mehr, Doc?«
Der Weißkittel blies erst die Wangen auf und stieß dann den Atem aus. Er war ungefähr in meinem Alter, doch sein Haar hatte die Farbe von Schnee bekommen. Wahrscheinlich hatte er in seinem Beruf zuviel an Elend und Tod sehen müssen. »Ich kann nicht viel sagen. Die Spritze habe ich ihm gegeben, aber das ist alles. Es kommt auf die Konstitution des Mannes an, wie er die Dinge übersteht. Warum fragen Sie?«
»Ich wollte einige Worte mit ihm sprechen?«
»Bringt das was?«
»Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen, aber…«
»Was ist mit aber?«
»Ich möchte einfach mit ihm sprechen.«
Der Arzt schaute mich an und schüttelte den Kopf.
»Was meinen Sie mit dieser Geste? Wollen Sie es mir verbieten?«
»Nein, das nicht, aber Sie sind Polizist, sogar Yard-Beamter, aber dieser Mann hat einen normalen Unfall verursacht, sage ich mal. Er ist doch in Ihrem Sinne kein Verbrecher.«
Ich lächelte, als ich ihm nickend zustimmte. »Da liegen Sie wohl richtig. Nur waren mein Freund und ich Zeugen dieses Unfalls. Wir haben es zwar nur aus einer gewissen Entfernung gesehen, aber es hat uns schon seltsam berührt, wie dieser Mensch reagierte. Der zog seinen Truck urplötzlich auf die andere Seite. Das war wie ein Reflex. Wir sahen das Zucken der Scheinwerferlichter, und dann war nichts mehr zu machen. Es begann einfach die Hölle.«
»Sie denken da wohl anders als ich. Ach ja, den Namen kann ich Ihnen sagen. Der Fahrer heißt Mehmet Slater.«
»Danke.«
»Er ist noch relativ jung, höchstens dreißig.«
Der Arzt hob die Schultern. »Man steckt nicht drin.« Dann wischte er mit dem Ärmel über seine Stirn.
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