Psychologische Homöopathie
Platina und Sulfur. Über eine geringe Libido berichten erschöpfte Sepias, aber auch China und Natrium, sofern er/sie Schwierigkeiten hat, sich emotional auf den Partner einzulassen. Wenn ich aus irgendeinem Grund Zweifel habe, ob die Angaben des Patienten stimmen, frage ich noch weiter nach: »Wie oft würden Sie in einer guten Partnerschaft idealerweise gerne Geschlechtsverkehr haben?«
Bei einem schwierigen Fall finde ich es oft hilfreich, die Persönlichkeit des Patienten auf einen Typus zu reduzieren, der primär intellektuell, emotional, intuitive oder praktisch veranlagt ist. Wenn man den Fall bis auf wenige Mittel zugespitzt hat, kann man zusätzliche Fragen stellen, die alle Mittel bis auf eins ausschließen. Wenn ich beispielsweise Causticum, Medorrhinum, Lachesis und Phosphor in der engeren Auswahl habe, kann die Frage nach dem sozialen Gerechtigkeitsgefühl des Patienten helfen, Causticum entweder zu bestätigen oder auszuschließen, während eine spezifische Frage nach »Abgehobenheit« helfen kann, Medorrhinum zu identifizieren.
Manchmal kommt es auch vor, daß die körperlichen Symptome für ein Mittel sprechen und die geistigen für ein anderes. Bei chronischen Krankheiten sind die Geistessymptome nach meiner Erfahrung der zuverlässigere Wegweiser zum richtigen Mittel. Das liegt vor allem daran, daß die körperlichen Charakteristika sich bei vielen Mitteln stark überschneiden. Außerdem ist die Liste der möglichen körperlichen Symptome bei jedem Polychrest sogroß, daß man sie nicht vollständig lernen oder auch nur im Repertorium vollständig aufführen kann. Bei jedem Mittel wird es körperliche Symptome geben, die dem Homöopathen nicht vertraut sind. Sollte es sich bei den körperlichen Beschwerden jedoch um Schlüsselsymptome eines bestimmten Mittels handeln, während die Geistessymptome nur ungefähr zu einem anderen Mittel passen, dann müssen die körperlichen Symptome stärker gewichtet werden.
Im Hinblick auf die Geistessymptome gibt es bei jedem Konstitutionstyp auch atypische Fälle, die den Homöopathen in die Irre führen können. In dieser Situation sollte man mehr auf die Essenz der Persönlichkeit achten, wenn man sie herauskristallisieren kann, als auf die Einzelsymptome. Die Essenz ist ein Thema, das bei jedem Aspekt der Persönlichkeit anklingt, wie beispielsweise die körperliche Unsicherheit von Arsenicum. In anderen Fällen führt ein einzelnes sonderliches, ungewöhnliches oder charakteristisches Geistessymptom auf die Spur zum richtigen Mittel. Der Zwang zum Händewaschen bei Syphilinum ist ein gutes Beispiel dafür.
Jeder Homöopath muß sich darüber klar sein, daß die Informationen, die der Patient von sich aus gibt, weitaus zuverlässiger sind als die Antworten auf spezifische Fragen, besonders wenn es sich um Entscheidungsfragen handelt, die nur mit »ja« oder »nein« beantwortet werden können. Ich habe beispielsweise die Erfahrung gemacht, daß Patienten, die von sich aus über das Gefühl berichten, daß jemand hinter ihnen ist, wenn sie nachts über die Straße gehen, fast immer Medorrhinum sind, während diejenigen, die eine entsprechende Frage mit »ja« beantworten, zu jedem beliebigen Konstitutionstyp gehören können. Wenn der Patient nicht von sich aus ein bestimmtes Schlüsselsymptom nennt, kann man – gewissermaßen als Kompromiß – eine offene Frage stellen, um ihn aus der Reserve zu locken. Man könnte die Patientin beispielsweise fragen, ob sie häufig eine Art sechsten Sinn spürt, wenn sie nachts alleine draußen ist, oder ob sie eine sehr lebhafte Einbildungskraft hat, wenn sie nachts alleine ist. Bejaht sie das, so kann man sie bitten, nähere Einzelheiten zu schildern, die dann gewöhnlich das charakteristische Medorrhinum-Symptom aufdecken werden, sofern es vorhanden ist.
Es ist außerordentlich wichtig, die Fallaufnahme so offen wie möglich zu beginnen. Obwohl der Homöopath meist schon in der Anfangsphase des Gesprächs an ein oder zwei passende Mittel denken wird, muß er flexibel genug sein, seine Vermutung sofort fallenzulassen, wenn neue Informationen das Bild verändern.
Es gibt die Redensart, daß der Patient bei einer guten homöopathischenFallaufnahme mindestens einmal lacht und einmal weint. Obwohl man das nicht wörtlich nehmen sollte, macht es einen wichtigen Punkt deutlich: Das Gespräch sollte so breit angelegt sein und gleichzeitig so stark in die Tiefe gehen, daß es das Herz des Patienten erreicht. Allzuoft
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