Psychologische Homöopathie
wird ihr bewußt sein, daß dies ein ungesunder Zustand ist, aber sie wird aus eigener Kraft nichts daran ändern können.
Verlust des Selbst
Ein anderer sehr charakteristischer Zug der geistigen Labilität von Alumina ist ein Gefühl von Unwirklichkeit. Das kann auf unterschiedliche Weise beschrieben werden. Einige Patientinnen sagen: »Es ist so, als ob ich nicht hier wäre.« Damit meinen sie nicht, daß sie ihren Verstand verloren hätten, sondern eher, daß sie sich selbst nicht mehr spüren. Es ist ein schwer vorstellbarer Zustand, in dem man zwar die äußere Welt weiter wahrnimmt, aber kein Gefühl mehr für die eigene Person hat. Andere sagen: »Es ist so, als ob nicht ich, sondern jemand anders diese Dinge beobachten würde.« Hahnemann verwendet in seinen Chronischen Krankheiten dieselbe Beschreibung: »Wenn der Patient etwas sagt, ist es ihm, als ob ein anderer dies gesagt hätte.«In diesem Zustand ist der Verstand entrückt und wird aus der Ferne Zeuge von Ereignissen (einschließlich der eigenen Gedanken und Handlungen des Subjekts). Eine meiner Patientinnen, die anschließend gut auf das Mittel reagiert hat, sagte: »Es ist so, als ob ich die Welt aus einem Glashaus betrachten würde.« (Nachdem sie das Mittel genommen hatte, verschwand diese Empfindung allmählich.) Natürlich kann das Gefühl der Entrücktheit die Alumina-Patientin stark verstören, denn es bestätigt ihr, daß irgend etwas mit ihrem Verstand nicht in Ordnung ist.
Alumina kann manchmal so verwirrt sein wie Medorrhinum oder sogar Cannabis indica, die beide ein Gefühl von Unwirklichkeit oder Gespaltensein erleben. Medorrhinum berichtet oft über Phasen, in denen er das Gefühl hat, »abgelöst« oder weit außerhalb dieser Welt zu sein, aber hier handelt es sich um vorübergehende Episoden, während der Egoverlust bei Alumina dauerhaft ist. Ich habe nie gehört, daß Medorrhinum-Patienten sagen, sie hätten das Gefühl, nicht zu existieren oder daß jemand anders zu sprechen scheint, wenn sie sprechen. Alumina- und Medorrhinum-Zustände gleichen sich zwar oberflächlich, sind in Wirklichkeit aber sehr verschieden. Das Gefühl der Entrücktheit bei Medorrhinum gleicht dem Gefühl, das jeder haben kann, der viel meditiert. Das Selbst wird dann als still und ausgedehnt empfunden, getrennt vom denkenden Verstand. Im Gegensatz dazu erlebt Alumina einen vollständigen Verlust des Selbst, der eindeutig pathologisch ist. (Weitere Unterschiede in den Geistessymptomen sind in der Regel deutlich genug, um dem verantwortungsvollen Homöopathen die Entscheidung zwischen Alumina, Medorrhinum und Cannabis indica zu ermöglichen.)
Einige Alumina-Patientinnen beschreiben eine leichtere Form der Verwirrung über die eigene Identität. Wenn man sie bei der Fallaufnahme nach ihrer Persönlichkeit fragt, sagen sie: »Ich habe keine«, und das soll kein Scherz sein. Wenn man sie fragt, was sie damit meinen, sagen sie, daß sie sich nicht als Persönlichkeit empfinden, weil sie vollauf damit beschäftigt sind, sich in ihrer Verwirrung zurechtzufinden und mit ihren Ängsten fertig zu werden.
Eine Alumina-Patientin, eine extrem dünne, nervöse Frau, hatte Partnerschaftsprobleme, die sie auch recht gut analysieren konnte. Sie sagte, sie habe keine Persönlichkeit, weil ihr als Kind die Rollenvorbilder gefehlt hätten, da ihr Vater selten zu Hause und die Mutter sehr reserviert war. Solche Bedingungen fördern zwar bei Kindern nicht gerade das Identitätsgefühl, aber sie bringen bei anderen Konstitutionstypen auch nicht solch einen tiefen Mangel an Selbstgefühl hervor, wie man ihn bei Alumina beobachten kann.
Depression und selbstzerstörerische Impulse
Die Verwirrung und der Mangel an Identitätsgefühl erinnern auch an ein anderes Mittel – Acidum phosphoricum. Im Gegensatz dazu ist Alumina jedoch anfällig für heftige Emotionen, insbesondere Verzweiflung, Ärger und Furcht. Die Stimmung schwankt oft mehrmals am Tag zwischen Verzweiflung und einem Zustand relativer Zufriedenheit (Kent: »wechselnde Stimmung«). Während der depressiven Phasen wird sich Alumina hoffnungslos fühlen und oft über Selbstmord nachdenken. Manche Patientinnen weinen viel, andere gar nicht, sondern ziehen sich nur schweigend zurück wie Natrium und Aurum. Eine meiner Alumina-Patientinnen brach jedesmal in Tränen aus, kaum daß sie im Sprechzimmer saß (Kent: »weinen, unfreiwillig«), und weinte während der gesamten Konsultation, bis ich, nach einem nur wenig
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