Psychologische Homöopathie
groß, daß sie die konservativste Homöopathie praktizierte, die mir je begegnet ist.
Kalium hängt auf ähnliche Weise an klar definierten Regeln wie Arsenicum, aber es gibt subtile Unterschiede. Arsenicum hat im allgemeinen ein stärkeres Ego als Kalium und verfolgt seine Prinzipien von Gewissenhaftigkeit und Anstand mit Eifer. Kalium hat dagegen gewöhnlich weniger Selbstvertrauen und klebt mehr aus Selbstschutz denn aus Überzeugung an den Regeln. Arsenicum ist meist leidenschaftlich überzeugt von seiner Ordnungsliebe, wogegen Kalium seine Prinzipien vernünftig, logisch und still verfolgt. Beide Typen wünschen sich soziale Anerkennung, aber Arsenicum hat dabei mehr Stil, während Kalium grau und anonym wirkt, mehr darum besorgt, ob sein Handeln akzeptabel ist, und nicht so sehr darauf aus, andere zu beeindrucken.
Die »Biederkeit« von Kalium ist eine Eigenschaft, die sich schwer definieren läßt. Sie verbindet mehrere Charakteristika, vor allem Konservatismus, Inflexibilität und übermäßige Ernsthaftigkeit. Auch Arsenicum ist oft ziemlich konservativ, aber er wirkt nicht annähernd so »bieder« wie Kalium, weil er leidenschaftlicher und weniger starr ist. Arsenicum kleidet sich beispielsweise oft mit einem gewissen Chic, während die Kleidung von Kalium nicht nur altmodisch ist, sondern häufig auch stillos. (Kalium setzt auf Sicherheit, indem er undefinierbare Kleidungsstücke in Grau und Braun trägt.)
Ich saß einmal mit einem prominenten Homöopathen in Kalifornien zusammen, und wir sprachen über den Fall eines jungen Mannes, der nach einer Virusinfektion unter starker Müdigkeit litt. Er arbeitete als christlicher Prediger auf dem Universitätsgelände und war mit einem stillen, vernünftigen Mädchen verheiratet, das mit ihm zusammenarbeitete. Er selbst wirkte nüchtern und verantwortlich. Bei der Fallaufnahme gab es keine klaren Hinweise auf ein bestimmtes Mittel, abgesehen von der charakteristischen Kalium-Angst, die er im Bauch fühlte. Der junge Mann hielt sich selbst für relativ offen und fortschrittlich, und das mag er im Vergleich zu anderen Predigern seiner Kirche auch gewesen sein, aber er war eindeutig weniger spontan und entspannt als die meisten anderen jungen Männer seines Alters. Das Bild dieses gewissenhaften, ziemlich altmodischen jungen Predigers, umgeben von einer Schar ausgelassener, radikaler Studenten, die nur wenige Jahre jünger waren als er, ließ mich an Kalium carbonicum denken. Manchmal kommt einem bei solchen Fällen auch Natrium in den Sinn, aber Natrium ist nicht so steif. Die Ernsthaftigkeit vieler Natrium-Typen ist eine Folge der Traurigkeit, die sie in ihrem Inneren verbergen. Ihr Blick ist ausweichend und etwas wäßrig und spiegelt die Gefühle, die sie versuchen, in Schach zu halten. Die Ernsthaftigkeit von Kalium ist anders. Kalium hat im allgemeinen sowenig Zugang zu seinen Gefühlen, daß er trocken, mechanisch und grau wirkt. Es gibt keinen Kampf mit irgendwelchen Gefühlen (außer gelegentlicher Angst), und keine Depression lauert im Inneren, Statt dessen findet man eher eine eingeschränkte Lebenskraft, weil das emotionale Leben fast völlig fehlt. Wie der Erste Offizier Spock vom Raumschiff Enterprise ist Kalium effizient, logisch und emotionslos. Aber selbst Spock hatte einige Gefühle, und das gilt in den meistert Fällen auch für Kalium.
Mir sind viele Kalium-Typen begegnet, die ein lebhaftes Interesse an alternativen Therapieformen und an Philosophie hatten. Doch wenn der Homöopath sich nur nach den Interessen der Patienten richtet, wird er die Essenz der Persönlichkeit nicht erkennen. Es kommt nicht so sehr darauf an, was der Patient für wichtig hält, sondern wie er seine Interessen verfolgt. Ganz gleich wie unkonventionell sein Interesse sein mag, Kalium wird es vernünftig, methodisch, mit intellektueller Gründlichkeit, aber wenig Leidenschaft verfolgen.
In der Anfangszeit meiner homöopathischen Praxis arbeitete ich mit einem Homöopathen zusammen, der viele Charakterzüge von Kalium hatte. Er war freundlich, verantwortlich und sehr vernünftig. Bei der Fallaufnahme prüfte er jedes kleine Detail in der Geschichte des Patienten und machte ausführliche Notizen, in denen er Hunderte von Einzelinformationen aufzeichnete. Angesichts dieser Fülle von Details fiel es ihm oft schwer, den roten Faden zu finden und alles zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. In typischer Kalium-Manier war er sehr gründlich, hatte jedoch
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