Psychopathen
Ausstellung in einem Museum, das sicher ein Anwärter für den Titel »Grausigstes Museum der Welt« ist: das Serienkiller-Museum in Florenz an der Via Cavour, einer prachtvollen Straße in der Altstadt von Florenz, nur einen Steinwurf vom Dom entfernt.
Und Fabrizio Rossi ist sein Kurator.
Das Museum ist gut besucht. Alle sind dort vertreten: von Jack the Ripper bis zu Jeffrey Dahmer. Von Charles Manson bis zu Ted Bundy.
Bundy sei ein interessanter Fall, sage ich zu Rossi. Ein böses Omen für die verborgene Macht des Psychopathen. Ein peinigender Hinweis darauf, dass sich in dem Kriechkeller noch weitaus mehr verbergen könne als dunkle Geheimnisse – wenn man nur genau genug hinsehe.
Rossi ist, gelinde gesagt, überrascht.
»Aber Bundy ist doch einer der berüchtigtsten Serienmörder aller Zeiten«, meinte er. »Er ist eine der größten Attraktionen des Museums. Was soll es denn da noch mehr geben außer diesen dunklen Geheimnissen?«
2009, zwanzig Jahre nach Bundys Hinrichtung im Florida State Prison (als Bundy zum elektrischen Stuhl geführt wurde,forderten die örtlichen Radiosender ihre Hörer auf, die Haushaltsgeräte auszuschalten, um die Stromzufuhr zu maximieren), beschlossen die Psychologin Angela Book und ihre Kollegen an der Brock University in Kanada, den amerikanischen Serienkiller beim Wort zu nehmen. Bundy, der Mitte der 1970er-Jahre in einem Zeitraum von vier Jahren fünfunddreißig Frauen den Schädel einschlug, hatte während eines Interviews mit dem für ihn typischen jungenhaften, durch und durch amerikanischen Lächeln gesagt, er könne ein »gutes« Opfer einfach an seinem Gang erkennen.
»Ich bin der abgebrühteste Hurensohn, dem Sie je begegnen werden«, hatte Bundy verkündet. Da mochte er wohl recht haben. Aber, so fragte sich Angela Book, war er vielleicht auch einer der schlauesten?
Um dies herauszufinden, führte sie ein einfaches Experiment durch. Zunächst ließ sie siebenundvierzig männliche Studenten die sogenannte Self-Report Psychopathy Scale ausfüllen. Das ist ein Fragebogen, der speziell zu dem Zweck entworfen wurde, psychopathische Persönlichkeitsmerkmale zu messen, und zwar nicht in einem Gefängnis oder in der Psychiatrie, sondern bei der Bevölkerung allgemein. Im Anschluss teilte Book die Probanden in zwei Gruppen ein, je nachdem, ob sie bei diesem Test eine hohe oder eine niedrige Punktzahl erzielt hatten. Dann nahm sie ein Video mit zwölf neuen Teilnehmern auf, auf dem diese zu sehen waren, wie sie durch einen Flur von einem Raum zum anderen gingen. Dort füllten sie einen standardisierten demographischen Fragebogen aus, der die folgenden beiden Fragen mit einschloss: (1) Sind Sie schon einmal zum Opfer gemacht worden (ja oder nein)? (2) Wenn ja, wie oft?
Schließlich zeigte Book den ursprünglichen siebenundvierzig Test-Teilnehmern die zwölf Videoaufnahmen und stellte ihnen folgende Aufgabe: Bewerten Sie auf einer Skala von 1 bis 10, wie gefährdet jede der Zielpersonen ist, ausgeraubt zu werden.
Der Gedankengang war einfach. Wenn Bundys Behauptung stimmte und er wirklich in der Lage gewesen war, potenzielleOpfer schon an ihrem Gang zu erkennen, dann müsste es, so vermutete Book, den Probanden mit einer hohen Punktzahl auf der Self-Report Psychopathy Scale besser gelingen, die Schwäche der Zielpersonen einzuschätzen, als den Probanden mit einer niedrigen Punktzahl.
Genau das war dann auch der Fall. Als Book die Prozedur mit klinisch diagnostizierten Psychopathen aus einem Hochsicherheitsgefängnis wiederholte, fand sie aber noch etwas anderes heraus. Auch wenn die erste Studie gezeigt hatte, dass die »psychopathischen« Studenten mit der hohen Punktzahl gut darin waren, Schwächen zu erkennen: Die klinischen Psychopathen setzten dem noch eins drauf. Sie erklärten ausdrücklich, dass sie die Schwäche der Menschen an ihrer Art zu gehen erkannt hatten. Wie Bundy wussten sie genau, wonach sie suchten.
Röntgenblick
Angela Books Ergebnisse sind keine Eintagsfliege. Ihre Studie gehört zu einer wachsenden Zahl von Forschungen, durch die es in den vergangenen Jahren möglich wurde, Psychopathen in einem neuen, facettenreicheren Licht zu zeigen: Das ist ein anderes Licht als der düstere Schatten, den Schlagzeilen und Hollywood-Drehbuchautoren auf solche Menschen werfen. Die Ergebnisse dieser Forschungen sind schwer zu verdauen. Man begegnet ihnen in der Regel mit einer gesunden Portion Skepsis. So auch in dem mörderischen kleinen Eckchen von Florenz,
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