Psychopathen
im Unterholz war, desto wahrscheinlicher war es, dass man selbst, die eigene Familie und Sippe am Leben blieben. Auch heutzutage sind ängstliche Menschen besser als andere in der Lage, eine Gefahr früh zu erkennen. Wenn man auf einem Bildschirm unter lauter heiteren oder neutralen Gesichtern ein einziges ärgerliches zeigt, dann erkennen das ängstliche Leute viel schneller als diejenigen, die nicht ängstlich sind. Das kann recht hilfreich sind, wenn ein schneller Rückzug vonnöten ist, weil man sich zufällig allein in dunkler Nacht in einer unbekannten Gegend befindet.
Es ist keine ganz neue Beobachtung, dass psychische Störungen generell auch von Nutzen sein können, dass sie manchmal ganz eigenartige, außergewöhnliche Vorteile mit sich bringen. Wie schon Aristoteles vor mehr als 2400 Jahren feststellte: »Es gibt kein Genie ohne einen Hauch von Wahnsinn.« Vielen Menschen ist diese Verbindung zwischen Genie und Wahnsinn ziemlich präsent aufgrund enorm erfolgreicher Filme wie ›Rain Man‹ oder ›A Beautiful Mind‹, in denen es um Autismus und Schizophrenie geht. In dem Buch ›Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte‹ berichtet der Neurologe und Psychiater Oliver Sacks von seiner berühmten Begegnung mit den Zwillingen John und Michael, beide total autistisch. Sie warendamals 26 und lebten in einer Anstalt. Als eine Schachtel Zündhölzer auf den Boden fiel und der Inhalt sich verteilte, riefen beide gleichzeitig »111«. Sacks sammelte die Zündhölzer ein und fing an zu zählen.
Auch das allseits bekannte Stereotyp vom brillanten, aber »gequälten« Künstler ist nicht ganz unbegründet. Der Maler Vincent van Gogh, der Tänzer Vaslav Nijinsky und John Nash, der Vater der »Spieltheorie«, waren alle psychotisch. Ist das ein Zufall? Nicht, wenn man Szabolcs Kéri glauben darf, Forscher an der Semmelweis-Universität in Budapest. Er scheint ein genetisches Muster entdeckt zu haben, bei dem sich beides, Schizophrenie und Kreativität verbinden. Er hat herausgefunden, dass Menschen mit zwei Kopien einer speziellen DNS-Kombination eines Gens namens Neuregulin 1, einer Variante, die man mit psychotischen Eigenschaften verbindet, aber auch mit einem schlechten Gedächtnis und Empfindlichkeit gegenüber Kritik, im Durchschnitt eine signifikant höhere Kreativität entwickeln als diejenigen, die nur eine oder gar keine Kopie haben. Menschen, die nur eine Kopie davon haben, sind immer noch durchschnittlich kreativer als diejenigen ohne.
Auch eine Depression kann Vorteile haben. Neuere Forschungen legen nahe, dass wir besser denken, wenn wir niedergeschlagen sind, weil sich die Aufmerksamkeit und die Fähigkeit zur Problemlösung steigern. Joe Forgas, Psychologieprofessor an der University von New South Wales, hat ein geniales Experiment erfunden. Er platzierte Schnickschnack, allerhand Spielzeugsoldaten, Plastiktiere und Spielzeugautos an der Kasse eines kleinen Schreibwarengeschäfts in Sydney. Wenn die Kunden herauskamen, testete er ihr Gedächtnis, indem er sie bat, so viele wie möglich von diesen Gegenständen aufzuzählen. Aber die Sache hatte noch einen Dreh. Wenn das Wetter schlecht war, lief Verdis ›Requiem‹ im Hintergrund. Wenn es schön war, wurden die Kunden mit den Klängen von Gilbert und Sullivan traktiert.
Die Ergebnisse hätten eindeutiger nicht sein können. Kunden,die auf schlechte Stimmung konditioniert waren, erinnerten sich an fast vier Mal so viele Gegenstände. Der Regen hatte auf ihre Stimmung gedrückt, die Musik auch, und diese Stimmung hatte dafür gesorgt, dass sie viel aufmerksamer waren. Und was ist die Moral von der Geschichte? Bei gutem Wetter sollte man das Wechselgeld besonders genau nachzählen.
Wenn man die verschiedenen psychischen Störungen im Hinblick darauf betrachtet, welche Vorteile sie bringen, wo Silberstreifen am Horizont und psychologische Trostpreise zu finden sind, dann stellt man fest, es gibt kaum eine, bei der das – zumindest auf die eine oder andere Art – nicht der Fall ist. Sie sind zwangsneurotisch? Dann werden Sie nie aus Versehen den Herd anlassen. Sie sind paranoid? Ihnen wird es nicht passieren, dass Sie das Kleingedruckte überlesen. In der Tat sind Furcht und Trauer – Angst und Depression – zwei der fünf grundlegenden Gefühle [1] , die es in allen Kulturen gibt und die wir nahezu alle irgendwann erleben. Aber es gibt eine Ausnahme, eine Gruppe von Menschen, die diese beiden Emotionen nicht kennen, gleichgültig, wie
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