Psychotherapeuten im Visier
mindestens vier Wochen für den Test eingeplant – bekam ich die von mir im DIN-A 4 -Format vorbereiteten Stundenbücher zurück – unausgefüllt. Die Erklärung war, dass man sich im universitären Kollegenkreis gegen das Vorhaben entschieden habe, weil eine solche zusätzliche Aufgabe den Patienten nicht zuzumuten sei.
Damals hatte ich noch den vermeintlich hehren Zielen von Psychiatrieprofessoren, also Ärzten, und der Wissenschaft vertraut, und war daher sehr enttäuscht, dass meine Idee nicht aufgegriffen worden war. Ein Jahr später erfuhr ich von einem ärztlichen Mitarbeiter, der gekündigt hatte, dass der Herr Professor den Test nicht wollte, weil er selbst die Idee als Grundlage für ein internetgestütztes Therapieprogramm in der Forschung nutzen wollte. Bis heute ist an dieser Universität in Sachen Computereinsatz für therapeutische Zwecke nichts geschehen. Auch andere Universitäten haben inzwischen in löblicher Eigeninitiative diese so naheliegende Idee aufgegriffen, sind aber nach zwei Jahren noch immer nicht in der Lage, ein Programm vorzulegen, das für die Patienten hilfreich wäre. Der Grund liegt zum einen in der unglaublichen Schwerfälligkeit des universitären Apparates, zum andern aber in der strikten Weigerung der Therapeutenzunft – Psychiater und Psychologen gleichermaßen –, auch nur eine Handbreit des eigenen beruflichen Terrains abgeben zu wollen. Ich halte diese Haltung für unverantwortlich, weil nur ein Bruchteil der Patienten, die dringend einer Behandlung bedürfen, meist mehrere Monate auf einen Therapieplatz warten müssen. Jede Form der Überbrückung und der zeitlichen Entlastung der Theraputen könnte ein Gewinn für beide Seiten sein.
Diese Starrsinnigkeit wird den Therapeuten nur einen kleinen zeitlichen Aufschub gewähren, die internetgestützte
Psychotherapie ist nicht aufzuhalten. Wenn sich Menschen inzwischen in vielen westlichen Ländern schon ein virtuelles Haustier halten, gegen einen virtuellen Gegner Schach spielen und vor allem über das Skypen ein Telefonat von Angesicht zu Angesicht in alle Welt führen, dann ist der Schritt zum Austausch mit dem Therapeuten am Computer auf der einen und der interaktiven Therapie am Bildschirm auf der anderen Seite nur die logische Konsequenz.
So, wie die Apotheker lange dagegen gekämpft haben, dass in Deutschland Arzneimittel an ihnen vorbei über das Internet vertrieben werden dürfen – am Ende vergeblich –, so wehren sich auch die Therapeuten massiv gegen neue Therapieformen, die es schon bald im Internet geben wird. Wer gibt schon gern sein berufliches Monopol mit all den damit verbundenen Privilegien auf? Aber diese Haltung ist kurzsichtig.
Der Kampf gegen die Einführung des Internets in die Psychotherapie wird an allen Fronten geführt. Es werden ethische Ansprüche angeführt, rechtliche, gesellschaftliche, ökonomische, berufsständische und viele mehr, als gelte es, sich gegen eine feindlich inszenierte Sintflut gegen das gesamte therapeutische System in Deutschland zu wappnen.
Es ist den Menschen immer gelungen, das Recht zu umgehen, wenn es sich um lässliche Sünden handelt, die zwar rechtlich Vergehen sind, in der öffentlichen Einschätzung aber einen gewissen Interpretationsspielraum zulassen: Die Jugendlichen, die sich älter geben, um Zutritt zu Lokalen, Zigaretten und Alkohol zu bekommen, die Schwarzarbeit, ohne die manche Volkswirtschaften schon lange zusammengebrochen wären, oder die Schönheitschirurgie, die aus einem lebensgegerbten 70-jährigen einen in der Physiognomie gestrafften Endfünfziger macht. Kleine Tricks, um sich jeweils
einen situativen Vorteil zu verschaffen. Selbst die Prohibition hat es nicht geschafft, die Nachschubwege für Alkohol zu unterbinden, so wenig wie es die Polizei heute schafft, wirklich wirksam etwas gegen die Drogenmafia zu unternehmen.
Nun hat aber eine neue Therapieform über das Internet nichts mit kriminellen Handlungen zu tun, sondern ist allein ein intelligentes Ausschöpfen therapeutisch revolutionärer Möglichkeiten. So, wie sich der Protestantismus nie hätte so schnell ohne die Erfindung des Buchdrucks durchsetzen können, so wird auch das Internet mit rasender Geschwindigkeit eine Alternative zu den althergebrachten therapeutischen Verfahren bieten. Warum? Nicht nur deshalb, weil allein in Deutschland etwa 10 Millionen Menschen an Depressionen leiden und medizinisch vollkommen unterversorgt sind, sondern weil die Betroffenen plötzlich über
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