Psychotherapeuten im Visier
besten Falle, wenn er überhaupt noch Hoffnung und die Kraft für Erwartungen aufbringen kann? Nur eines, und das so schnell wie möglich: befreit sein von der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit in der Depression – und ebenso bei jedem anderen seelischen Leiden.
Sein Problem hat ja zwei Seiten: den seelischen Schmerz
auf der einen und das Abgeschnittensein vom Leben auf der anderen. Es geht ihm um Lebenszeit, ob nun in der Jugend oder im Berufsleben, dem er jetzt als Patient nicht mehr angehört, und natürlich um Zukunftsängste – wer hat die heute nicht?
Mein Wunschtherapeut weiß um diese existenzielle Problematik und leitet drei Schritte der Zuversicht ein: die klare Diagnose, das darauf abgestimmte Behandlungskonzept und einen Mut machenden Zeitplan – keine Versprechungen, aber ein abschätzbares Zeitkontingent für die Therapie.
Ist das wirklich zu viel verlangt? Nein, ein klares Nein. Alle medizinischen Disziplinen können heute sehr präzise Aussagen über einen Behandlungsverlauf machen – in der Chirurgie ist der Krankenhausaufenthalt, ob Jung oder Alt, inzwischen genormt. Und wo steht in dieser Planbarkeit die Psychologie und die Psychiatrie? Weit abgeschlagen in zeitlichen Nirwanavorstellungen zweifelhafter Therapieschulen.
Ein guter Therapeut macht keine Gehirnwäsche, um den Kranken möglichst schnell wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren – das sind Vorwürfe, die sich längst selbst erledigt haben, aber noch immer in der vermeintlichen Gutmensch-Therapeutenszene herumgeistern.
Mein Wunschtherapeut ist ein guter Handwerker, er wägt Aufwand und Nutzen ab, macht klare Terminangaben, spricht offen über Kosten und das Zeitkontingent vor Ort, also der Seelenheilung, das auch Beeinträchtigungen mit sich bringt. Was anderes ist eine gute Therapeutenarbeit?
Psychologie und Psychiatrie haben im Vergleich zu anderen medizinischen Verfahren und Therapien die geringsten Erfolge aufzuweisen. Das hat schon der Philosoph Karl Jaspers – selbst Arzt in der Psychiatrie zu Zeiten Freuds! – immer wieder mahnend dargelegt: Psychiatrie ist keine Wissenschaft,
sondern bedeutet die Zugehörigkeit zu einem Geheimbund. Ist es ein Wunder, dass Karl Jaspers sich dann schon bald folgerichtig der Philosophie verschrieben hat? Für die Psychiatrie hatte er kein gutes Wort mehr übrig.
Mein Wunschtherapeut? Ein Mensch. Ein Mensch, der das Dasein liebt und alles zu tun bereit ist, dass es anderen, die an sich selbst leiden – nichts anderes ist die Depression –, möglichst schnell zu sich selbst und ins Leben zurückfinden.
Ich wünsche mir Therapeuten – Frau oder Mann –, die bereit sind, die Fesseln dogmatischer Therapiekonzepte abzustreifen, vorbehaltlos. Das erlebte Leben des Patienten muss Priorität haben, mit oder ohne medikamentöse Begleitung. Wer Medikamente in der Psychotherapie verweigert, macht sich der Körper- und Seelenverletzung schuldig. Ob es dafür einen Straftatbestand gibt, weiß ich nicht, nur zu gern würde ich ihn einführen.
Noch einmal, mein Wunschtherapeut? Jemand, der bereit ist zu sagen, dass auch er im sokratischen Verständnis nichts wirklich über das Phänomen Depression weiß, dass er aber all sein umfangreiches Wissen zum Wohle seines Patienten einsetzen wird – den ganzen Kosmos des Wirksamen, therapeutisch-ärztliche Magie eingeschlossen. Diese Magie kann sich aber nur entfalten, wenn der Therapeut mit seinem Patienten auf Augenhöhe agiert, also das biografisch-gesellschaftliche Profil seines Gegenüber nicht nur kennt, sondern es auch akzeptiert. Wer scheinbar über alle guten Gaben des Lebens verfügt, kann ebenso therapiebedürftig sein wie jemand, der mit seinem Auskommen hadert. Viele Therapeuten haben Vorbehalte gegen die seelischen Wunden reicher Patienten. Wer die unterschwellige Ablehnung seines Therapeuten gegenüber seiner seelischen Not spürt, sollte sich nicht
scheuen, den Therapeuten zu wechseln. Niemand in der Therapeutenschaft wird solche Vorbehalte zugeben, aber es gibt sie – Missgunst ist auch bei Psychologen und Psychiatern nicht unbekannt.
Ich habe das Glück, wieder gesund sein und handeln zu können. Was anderes ist Leben? Ja, für mich heiligt das Leben die eingesetzten Mittel – das ist die Maxime, die ich von einem Wunschtherapeuten erhoffe. Ist das zu viel verlangt?
Depression im Alter: Wo bleibt die Empathie?
Gerade einmal 60 Jahre alt, maße ich mir keine Erfahrung mit der Depression im Alter an. Mit gefühlt
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