Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht
auseinanderzuhalten. Es gibt Verantwortlichkeit meiner Familie gegenüber: Was soll mein Beitrag der Gemeinschaft gegenüber sein? Und dann gibt es die Verantwortung mir selbst gegenüber.
Diese beiden Ebenen werden sehr häufig vermischt. Oft nehmen die Eltern die persönliche Verantwortung, die die Kinder für sich selbst haben sollten, an sich. Als Gegenleistung wünschen sie sich dann, dass die Kinder mehr Verantwortung für die Gemeinschaft übernehmen. Solche Geschäfte gehen oft schief, dazu sind die »Währungen« zu unterschiedlich.
Zur Klärung sind die folgenden Gedanken eines Vaters sehr nützlich: »Verantwortung übernehmen heißt ja, sich über die Konsequenzen, über die Folgen seines Tuns, klar zu sein und diese Folgen auch auf sich zu nehmen. Gleichzeitig sagen Sie, es ist eine neurobiologische Tatsache, dass Jugendliche in dem Alter aus biologischen Gründen gar nicht in der Lage sind, die volle Tragweite ihres Tuns zu erkennen und auf sich zu nehmen. Also sind doch wir als Eltern genau gefordert, die möglichen Konsequenzen abzusehen und zu intervenieren. Das ist doch exakt der Konflikt, in dem wir alle stecken, die Sackgasse aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven. Für den Jugendlichen ist es ja gar nicht einsehbar, wenn die Eltern die Konsequenzen ausmalen, weil er sie gar nicht sieht. Wir reden permanent aneinander vorbei.«
Natürlich ist es eine schöne Vorstellung, die Jugendlichen würden eines Tages zu den Eltern kommen und sagen: »Hör mal, ich habe gemerkt, dass ein Teil meines Gehirns nicht mehr funktioniert. Kannst bitte du die nächsten Jahren die Entscheidungen für mich treffen, und wenn ich soweit bin, dann komme ich wieder und hole mir meine Entscheidungskompetenz wieder zurück.« Doch das wird nicht passieren.
Ich benütze gerne den Begriff Sparringspartner. Ein Sparringspartner bietet maximalen Widerstand und richtet minimalen Schaden an. Es ist für Jugendliche sehr wichtig zu wissen: Was denkt mein Vater? Was denkt meine Mutter? 99 Prozent der Jugendlichen nehmen die Meinung ihrer Eltern sehr ernst, wenn sich die Eltern die ersten Jahre in der Familie auch nur ein
bisschen qualifiziert haben. Jedoch gibt es kaum Jugendliche, die ihren Eltern gegenüber offen zugeben, was sie denken. Wenn also der Vater sagt: »Mit dem, was du da tun willst, bin ich absolut nicht einverstanden. Das will ich auf keinen Fall!«, dann wird der Jugendliche nicht dastehen und sagen: »Hm, wenn ich so darüber nachdenke, hast du eigentlich Recht, Papa, danke.« Sie müssen ihr Gesicht wahren. Das heißt jedoch nicht, dass die Worte der Eltern keinen Einfluss haben. Entscheidend ist allerdings die Frage, wie die Beziehung zu meinem Sohn, zu meiner Tochter die ersten 13 Jahre war, denn auf diesem Fundament baut alles auf. Es ist wie im richtigen Leben - es gibt keine perfekte Lösung. Man kann es nicht lösen, man kann es nur leben - mehr oder weniger gut. In den später noch folgenden Briefen und Gesprächen werden wir sehen, wie man seinen Umgang damit vielleicht so verändern kann, dass es für die Erwachsenen besser ist. Und wenn es für die Erwachsenen besser ist, ist es automatisch auch für die Jugendlichen besser.
Selbstverantwortung der Eltern und der fehlende gesellschaftliche Konsens
Es gibt heute kaum gesellschaftlichen Konsens mehr. Was richtig oder falsch ist, darüber gehen die Meinungen unserer Nachbarn oder der Eltern der Klassenkameraden weit auseinander. Wir müssen auch als Eltern verantwortlich sein: für unsere Wertvorstellungen, für unsere Wünsche, für unsere Ansichten. Dieser Prozess, dabei sinnvolle Antworten zu finden, ist anstrengend und mühsam - und zwar für alle, nicht nur für die Eltern. Oft ist es schwierig für uns, nicht nur uns selbst zu vertrauen, sondern auch unseren Kindern.
In dieser Beziehung zwischen Eltern und Jugendlichen sind mittlerweile neue Ambitionen entstanden. Wir wollen gerne
eine andere Beziehung zu unseren älter werdenden Kindern pflegen, als die meisten von uns zu unseren eigenen Eltern hatten oder haben. Viele Eltern möchten gerne irgendeine Art von erwachsener Freundschaft aufbauen. Was brauchen wir dazu? Auch hier müssen wir mit den Kindern lernen, verantwortlich zu sein. Ich kann natürlich auch weiterhin Mutti oder Vati spielen, eine bestimmte Rolle einnehmen. Doch dann gibt es keinen Kontakt. Wenn ich Glück habe, bekomme ich schnell Enkelkinder und kann dann diese Rolle weiterhin schauspielern. Doch normalerweise
Weitere Kostenlose Bücher