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Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht

Titel: Pubertaet - wenn Erziehen nicht mehr geht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jesper Juul
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Anforderungen sind ganz andere. Die Anforderung, die Erwachsene damals an meine Generation stellten, war eigentlich nur eine: gehorsam zu sein. Es gab zwei Dinge, die als besonders gefährlich galten: Sex und Alkohol. Unsere Lebenswirklichkeit hat sich seither sehr verändert. Blinder Gehorsam ist heute nicht mehr angebracht. Tagtäglich müssen wir viele persönliche Entscheidungen treffen. In meiner Erziehung zu Hause oder in der Schule wurde ich jedoch darauf nicht vorbereitet.
    Was heißt es, für sich selbst verantwortlich zu sein? Ich muss Verantwortung übernehmen dafür, was ich sage und was ich tue. Kinder sind schon sehr früh in der Lage, für sich selbst verantwortlich zu sein. Von ihren (biologischen) Voraussetzungen wäre das möglich. Kinder können beispielsweise ab etwa fünf Jahren für ihren eigenen Schlaf verantwortlich sein: dass sie ins Bett gehen und dass sie aufstehen. Das liegt jedoch nicht in unserer
Tradition, in unserer Art und Weise, mit diesen Dingen umzugehen. Wir sind es eher gewohnt, dass wir Fünfjährige morgens fünfmal aufwecken und 15-Jährige 15-mal. Wir glauben, das sei notwendig.
    Traditionell übernehmen Erwachsene für vieles die Verantwortung. »Mama und Papa wissen, was du brauchst und was für dich gut ist«: wann das Kind ins Bett gehen soll (»Du musst aber müde sein, es ist schon halb zehn«), wann und was es essen soll (»Nein, du kannst jetzt keinen Hunger haben, du hast erst vor einer Stunde etwas gegessen«), ob es Durst hat oder nicht. Jedoch haben Kinder in den letzten Jahrzehnten in bestimmten Aspekten mehr Einfluss erlangt als Kinder vorheriger Generationen: Was sie anziehen wollen oder womit sie spielen möchten, dürfen viele heute selbst entscheiden. Als Kind kann man heute eine eigene Meinung haben - und wenn man Glück hat, hören die Eltern sogar zu. Heutzutage wird in Familien über vieles diskutiert, worüber es zu meiner Jugend einfach keine Diskussion gab. Damals hieß es: »Das geht nicht, das erlauben wir nicht, und damit basta.« Hier wird heute mehr verhandelt, und das ist sehr wichtig.
    Wofür können Kinder und Jugendliche selbst verantwortlich sein und wofür nicht? Für uns als Eltern ist es schwierig, uns diese Frage immer wieder zu beantworten und dabei zu erkennen, warum wir die Frage so beantworten, wie wir es tun. Wenn ich mir beispielsweise überlege, ob mein 13-jähriger Sohn für die Wahl seiner Freunde selbst verantwortlich sein kann, worum geht es mir dann? Geht es wirklich nur um das Wohl des Kindes? Oder geht es um mich? Um mein Selbstbild? Um mein Image in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Schule?
    Es gibt keine einfache, klare Antwort darauf, wofür Kinder selbst verantwortlich sein können und wofür nicht, keine Rezepte oder Regeln, die immer richtig wären. Klar ist jedoch: Wer heute als 13- oder 14-Jähriger oder als 25-Jähriger oder als
40-Jähriger in dieser Welt lebt, muss in der Lage sein, für sich selbst Verantwortung zu tragen. Denn es gibt nur zwei Möglichkeiten: Ich bin entweder für mich selbst verantwortlich, oder ich bin Opfer - jemand anderer ist schuld.

Konsequenzen und Eigenverantwortlichkeit
    Seit etwa 200 Jahren beklagen sich Eltern darüber, dass junge Leute mit 14, 15 nicht über Konsequenzen nachdenken wollen. Der Junge will ohne Helm Motorrad fahren, die Mutter sagt: »Dann kannst du bei einem Unfall sterben!« Der Junge sagt: »Da passiert schon nichts.« Eltern denken in einem solchen Fall oft: Ah, er rebelliert. Doch lässt der aktuelle Stand der Gehirnforschung vermuten, dass diese Reaktion nichts mit Rebellion zu tun hat. Vielmehr ist in diesem Alter der Teil des Gehirns, der für Konsequenzen zuständig wäre, außer Gefecht gesetzt. Jugendliche können gar nicht darüber nachdenken. Neurobiologen sprechen davon, dass etwa 85 Prozent der Jugendlichen dazu nicht in der Lage sind. Die Verbindungen im Gehirn, die dazu nötig wären, funktionieren in dieser Zeit nicht. Das ist eine biologische Tatsache, die man daher nicht persönlich nehmen sollte. Der alte Witz, Jugendliche sollten mit einem Schild »Wegen Umbau geschlossen« herumlaufen, ist gar nicht so falsch. Allerdings wollen sie uns auch nicht zuhören, wenn wir sie darüber aufklären möchten. Das bedeutet also, dass wir als Eltern in dieser Zeit eine ganze Menge Angst und Sorgen ertragen müssen. Doch das ist nichts Persönliches, nichts, das gegen uns gerichtet wäre.
    Wichtig ist es beim Thema Verantwortlichkeit, zwei Ebenen

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