Puerta Oscura - 01 - Totenreise
haben, Michelle und ihre Entführer einzuholen.«
Pascal nickte und blickte zu dem Felsen hinüber. Angesichts dieses Massivs kam er sich winzig vor.
Von irgendwoher war auf einmal das Rennen und Traben vieler Füße zu hören. Beatrice gab Pascal rasch ein Zeichen und sie legten sich auf den Boden, bis nach ein paar Minuten die Gefahr vorüber war.
»Eine Horde Ghule«, stellte Beatrice fest. »Bis jetzt sind wir ihnen noch nicht begegnet, weil sie meistens in der Nähe der Leuchtpfade herumlungern. Sie denken, es ist einfacher, dort Beute zu machen.«
Pascal erhob sich und klopfte sich den Staub von der Jeans.
»Ist der Durchgang denn sicher?«, fragte er. »Diese geheimen Gänge …«
Beatrice zuckte die Schultern. »Ich weiß auch nur das, was der Graf De Polignac uns gesagt hat«, erwiderte sie. »Wir werden es erleben.«
Pascal erinnerte sich: Im Kronosfelsen gab es viele Kammern, exakt sechseckig in den Stein gehauen, und in jeder der Wände war eine Tür. Durchschritt man sie, so trat man eine Zeitreise an. Außerdem hatte der Graf gesagt: »Im Laufe seiner Existenz hat der Mensch immer wieder versucht, Himmel und Hölle zu finden. Vergeblich hat er sie unter der Erde und in schwindelnder Höhe gesucht. Bei dieser Suche nach dem Guten und dem Bösen ist es den Menschen lediglich gelungen, flüchtige Momente des Lichts und lange Zeiträume der Finsternis zu schaffen. Über die Jahrhunderte hinweg konnte der Mensch den Himmel nur streifen, während er selbst wahre Höllen geschaffen hat. Der Kronosfelsen wird euch durch diese Momente des Leids und der Angst führen, die die Sterblichen über Jahrtausende begleitet haben. Es ist ein Weg durch die Abgründe des menschlichen Lebens.«
Wie versteinert hatte Pascal den Worten des Grafen gelauscht, die eine Art Safari durch die schlimmsten Momente der Geschichte beschrieben.
»Nur wenn ihr den Felsen durchwandert, könnt ihr die nächste Zone erreichen und das Mädchen Michelle retten«, hatte De Polignac hinzugefügt.
»Die Verdammten in dieser Leidenszone können den Felsen nicht mehr verlassen«, erklärte Beatrice jetzt. »Niemals. Sie wandern von einem Schreckensszenario zum nächsten … bis in alle Ewigkeit.« Und weiter erklärte sie: »Die Türen in den Seiten der Felsenräume führen jeweils in eine ganz bestimmte Zeit. Wenn sie einmal geöffnet sind, gibt es kein Zurück mehr. Jedes Mal also, wenn wir durch eine dieser Türen gehen, werden wir automatisch durch Zeit und Raum geschickt, ohne es rückgängig machen zu können. Das heißt also, wir müssen uns gut überlegen, welche wir öffnen.«
»Dafür haben wir den Stein«, sagte Pascal und berührte seine Hosentasche. »Mit diesem Kompass verirren wir uns nicht.«
»Das stimmt zwar, doch es gibt noch ein Zweites«, erklärte sie, »es geht auch um den kürzesten Weg.«
Pascal blickte sie jetzt fragend an.
»Jede Tür, die wir öffnen, führt uns zu einem schrecklichen Augenblick in der Geschichte«, versuchte es Beatrice noch einmal, »wo wir dein Leben und meinen Tod aufs Spiel setzen. Je weniger Zeitreisen wir absolvieren müssen, desto größer ist die Chance, den Felsen heil zu verlassen. Deshalb der kürzeste Weg.«
Pascal nickte.
»Und noch etwas«, sagte Beatrice. »Der Kronosfelsen ist ein Mikrokosmos, der seine eigene Zeitrechnung hat. Vierundzwanzig Stunden ist das oberste Limit für jede Epoche, in der wir uns befinden. Wird diese Zeitspanne überschritten, sind wir für immer gefangen.«
»Für … immer«, wiederholte Pascal langsam.
»Ja, für immer, ohne Aussicht auf Befreiung. Wie hat der Graf es noch genannt? ›Verwandelt in Heimatlose der Zeit‹!«
Pascal dachte an seine Familie und seine Freunde. Ein Fehler, und sein Name würde auf der Liste verschwundener Personen landen – was auch das Ende für Michelle bedeutete.
»Wenn wir jetzt umkehren«, schlug Pascal vor, »könnten wir Michelle dann auf etwas weniger riskante Weise retten?«
Beatrice schüttelte den Kopf.
»Der Tross, in dem sie entführt wird, kommt zwar nur langsam voran, und sein Weg ist viel länger, aber er macht keine Pause. Und denk daran, dass wir ihr ab einem bestimmten Punkt nicht mehr folgen können, ohne uns selbst aufzugeben.«
Wieder nickte Pascal und sie gingen weiter, der Hängebrücke entgegen, die zum Felsen führte. Als sie dort anlangten, machte er ein paar Schritte darauf, blieb dann stehen und strich über die dicken Seile, die als Geländer dienten. Wenn sie diese wacklige
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