Puerta Oscura - 01 - Totenreise
umgehend in ein Taxi steigen und zu ihm kommen. Sie hatte keine Zeit zu verlieren und sie fühlte sich für das Geschehene mitverantwortlich. Zum Glück war Edouard am Leben.
Am Eingang der Krankenstation begegnete Daphne der Kommissarin und dem Gerichtsmediziner. Überrascht von der exzentrischen Aufmachung der Frau – weiter bunter Burnus und wirre Mähne – folgten ihr die beiden mit Blicken.
»Wen diese Vogelscheuche wohl besucht?«, fragte sich Marguerite laut, während sie der Frau nachblickte, um zu sehen, welches Zimmer sie betrat. »Na, so was, sie geht zu dem Jungen, bei dem du warst. Was es in Paris nicht alles gibt …«
Marcel antwortete nicht; auch er hatte Daphne beobachtet, als sie den Flur entlanggegangen war.
20
DREI UHR MORGENS, und er konnte nicht schlafen. Pascal lag in seinem Bett, geplagt von bösen Ahnungen. Er dachte an die dunkle Gefahr, vor der Daphne ihn gewarnt hatte – in diesem Moment lief der Vampir durch die Straßen und suchte ihn –, an den Umstand, dass er Michelle nicht erreichen konnte, und das ausgerechnet jetzt, wo er sie besonders dringend brauchte. Allein das sich verdichtende Gefühl, dass ihr Verschwinden irgendetwas mit der Dunklen Pforte zu tun haben könnte, machte ihn ganz krank. Ob ihr etwas geschehen war?
Vor ein paar Stunden hatte Pascal versucht, sie auf dem Handy anzurufen. Doch sie war nicht erreichbar gewesen. Er hatte sich ebenfalls mit ihrem Internat in Verbindung gesetzt, wo man ihm mitgeteilt hatte, dass Michelle vor ein paar Tagen von ihrer Familie abgeholt worden und für eine Woche verreist sei. Das hatte er nicht erwartet.
Warum hatte sie ihnen nichts davon erzählt? Ein leises Quietschen unterbrach seine Gedanken, und er öffnete die Augen. Das Geräusch schien aus dem Einbauschrank zu kommen; doch das war nicht möglich: die Türen des Schranks waren abgeschlossen. Wie sollten sie allein aufgehen?
Nach ein paar Sekunden hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, und er konnte tatsächlich in der Mitte des Schranks einen schmalen dunklen Spalt erkennen, als ob die Türen ein wenig offen stünden.
Die Sache mit dem Badezimmerspiegel fiel ihm wieder ein. Bekam er etwa Besuch? Er nahm all seinen Mut zusammen und stand auf. Ein Wanderer durfte nicht feige sein.
Barfuß und im Dunkeln ging er langsam zum Schrank, dessen Türen weiter aufschwangen und wieder dieses klagende Geräusch von sich gaben. Erschrocken blieb Pascal stehen. Noch nie war ihm ein Schrank so bedrohlich vorgekommen. Was verbarg sich darin? Zweifelnd blickte er zur Zimmertür. Vielleicht sollte er lieber seine Eltern rufen?
Doch er wusste, dass das nicht infrage kam. Inzwischen stand er nur noch einen halben Meter von dem geheimnisvollen Möbel entfernt. Alles war still jetzt, kein Quietschen und kein Knarren mehr. Er kämpfte gegen das Bedürfnis an, sich im Bett zu verkriechen, und rieb seine schweißnassen Hände an der Pyjamahose. Sein Atem ging stoßweise.
Er kniff die Augen zusammen, um besser zu sehen, was sich im Innern des Schranks befand. Dann plötzlich sprangen die Türen noch weiter auf, und aus dem dunklen Spalt schnellte blitzschnell ein behaarter Arm hervor und packte ihn.
Pascal hatte keine Chance, zurückzuweichen. In Sekundenbruchteilen hatten sich die rauen Finger in seinen Oberarm gegraben und versuchten, ihn in den Schrank zu ziehen. Die Kälte der Berührung verbrannte ihm die Haut.
Pascal schrie und warf sich zurück, doch der ausgestreckte Arm zerrte mit immer größerer Kraft an ihm. Schon war Pascal fast im Schrank verschwunden, doch er wehrte sich weiter, stemmte sich mit aller Kraft dagegen.
Im Flur waren die Schritte von seinen Eltern zu hören, die von seinem Schreien geweckt worden waren.
»Pascal? Alles in Ordnung?«, fragte sein Vater und rüttelte an der Zimmertür; sie hatte sich von selbst verschlossen und verwehrte ihnen den Zutritt.
»Pascal!«, rief seine Mutter. »Was ist los? Mach uns bitte auf!«
»Besser so«, sagte er sich grimmig. »Sie sollen nicht hereinkommen und sehen, was hier passiert. Unter keinen Umständen!«
Sein Vorsatz half ihm, die lähmende Angst zu überwinden. Er war der Wanderer!
Er berührte mit der Rechten das Amulett auf seiner Brust, das ihm Daphne gegeben hatte, während er sich mit der anderen Hand an dem Schrank abstützte, um nicht von der dunklen Öffnung verschlungen zu werden. Er umklammerte das Medaillon, zog sich die Kette über den Kopf und hielt es weit ausgestreckt und so
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