Pulverfass Iran
dass Begriffe wie „Stolz“ und „Ehre“ eine sehr große Rolle spielen. Nicht nur in der Politik, wie in den Verhandlungen um das Atomprogramm, ist es von großer Bedeutung, sein Gesicht zu wahren und dem Westen auf Augenhöhe zu begegnen. Auch im Privaten hat das „Ansehen“ („Aberu“), was hierzulande auch mit „Ehre“ übersetzt werden könnte, eine große Bedeutung. Ähnlich verhält es sich mit der Ehre der Familie, die sich häufig auch im Umgang mit der Sexualität der Tochter zeigt. Es „gehört“ sich, dass die Tochter einen anständigen Jungen kennenlernt und heiratet. Wenn auch nur der Verdacht aufkäme, die Tochter habe vor der Ehe einen Freund, dann ist die Ehre in Gefahr. Dies gilt nicht nur in erzkonservativen Kreisen, sondern durchaus auch in modernen iranischen Familien, die im Ausland leben.
Wo immer man Iranern begegnet, spürt man den Stolz auf ihre Geschichte und Kultur. „Als Rom noch ein kleiner Bauernstaat war und die Germanen in Sümpfen lebten, gründeten Perserkönige ein riesiges Reich...“, titelt der STERN in seiner |14| „Geschichte des Iran“ und spricht von der ersten Supermacht. 4 Dieser Unabhängigkeitsgedanke und Stolz ziehen sich durch die gesamte persische Geschichte, in der das persische Reich in viele Kämpfe und Kriege verwickelt war. Zwar war der Iran nie eine Kolonie, doch im Laufe der Zeit wurde das Land zwischen dem Zagros-Gebirge und dem Hindukusch durch viele Herrscher und Stämme erobert.
Alexander der Große hinterließ seine zerstörerischen Spuren, als er die prunkvolle altpersische Residenzstadt Persepolis, eine der Hauptstädte des antiken Perserreichs unter den Achämeniden, 330 v. Chr. bis auf die Grundmauern niederbrannte. Im siebten Jahrhundert waren es die Araber, die den Persern eine neue Religion, den Islam, brachten. Dabei gehörte die Religion Zarathustras schon lange vor dem Islam zu Persien. Die Ursprünge des Zoroastrismus reichen bis ins altpersische Reich 1800 Jahre v. Chr. zurück. Die Iraner verliehen dem Islam aufgrund der eigenen Tradition in den vergangenen Jahrhunderten eine spezifische Note. Nicht ohne Grund nahmen sie gerade die schiitische Version des islamischen Glaubens an. 5
Somit ist es den Iranern bis heute trotz wechselnder Besatzungsmächte und zahlreicher Eroberungen durch Araber, Mongolen, Griechen und Türken immer gelungen, ihre kulturelle und sprachliche Identität und Unabhängigkeit zu bewahren. Der Stolz der Iraner basiert auch auf der fast arroganten Überzeugung, sie seien in einer von „zurückgebliebenen Arabern“ besiedelten Region die natürliche Führungsmacht. Und so werden Araber despektierlich als „Eidechsenfresser“ abgewertet, die wenig zivilisiert seien. Das iranische Abgrenzungsbedürfnis zeigt sich nicht nur darin, dass es in der persischen Sprache (Farsi) trotz vieler arabischer Einflüsse häufig ein persisches Synonym zu einem arabischen Wort gibt. Den Iranern ist auch sehr bewusst, dass ihre Kultur zu den großen Ideengebern der Religions- und Geistesgeschichte gehört und viele bedeutende Persönlichkeiten der Religions- und Geistesgeschichte hervorgebracht hat, die heute als „islamische Größen“ |15| gelten: Weltberühmte Dichter wie Ferdowsi und Hafis, den Mathematiker und Astronomen Omar Khajjam, Philosophen wie Ibn Sina, den die Menschheit unter dem Namen Avicenna kennt, um nur einige zu nennen. Dies erzeugt bis heute unter den Iranern ein Bewusstsein kultureller Überlegenheit. Die iranische Kultur und die persische Sprache haben auf Araber, Türken, Inder und viele andere Völker in einer besonderen Weise prägend gewirkt.
Viele Iraner berufen sich auf diese Geschichte, sie wollen nicht nur mit der neueren Geschichte der Islamischen Republik identifiziert werden. Wenn man Iraner danach fragt, was ihnen der Islam und die Revolution eigentlich gebracht haben, erhält man oft zur Antwort: Wir sind heute selbstbestimmt und unabhängig. Andere sagen, die Revolution von 1979 sei nur die Konsequenz dessen gewesen, was in der Demokratiebewegung unter dem Politiker Mohammad Mossadegh 1953 schief gelaufen ist. Beide Antworten stoßen zum Kern der modernen Geschichte Irans vor, dem Unabhängigkeitsgedanken. Es war Mossadegh, der vor fünfzig Jahren den Schah ins Exil schickte und der das Land durch die Nationalisierung der Anglo-Iranian Oil Company (AIOC) in den Augen vieler Iraner aus den Fängen der Briten befreite.
In der neueren Geschichte des Iran galt besonders Schah Reza
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