Pulverfass Iran
einzutreiben. Das Angebot einer kostenlosen Fahrt ist eine Höflichkeitsfloskel.
Auch im menschlichen Miteinander werden ungern feste Verabredungen oder verbindliche Aussagen getroffen, da man sich immer ein Hintertürchen offenhalten will und erst mal schauen will, was alles noch so auf einen zukommt. Das stößt besonders in Europa, wo man sich gewöhnlich an feste Zusagen hält und zuverlässig ist, häufig auf Unbehagen.
Das Unverbindliche hat auch etwas mit der „art de vivre“ der Iraner zu tun. Stress und Zeitdruck im Job nehmen sie nicht so ernst, Organisation und Zuverlässigkeit häufig auch nicht. Sie entscheiden eher aus dem Bauch heraus. Nicht selten musste ich als Fernsehjournalist bei Drehterminen im Iran feststellen, dass ein Protagonist erst nach mehreren Stunden oder gar nicht auftaucht. Häufig griff unser Protagonist dann zur Notlüge und sagte: „Ich dachte, der Termin war morgen“. Manchmal hört man auch: „Ich wusste ja gar nicht, dass wir fest verabredet sind.“ Das führt bei der Organisation von Drehreisen in den Iran häufig dazu, dass man mehrere Reisetage angeben muss. Vieles, so ist die Erfahrung, klappt besonders auf Ämtern oder bei der Drehgenehmigung nicht auf Anhieb und wir als Journalisten müssen häufig einen langen Atem haben.
Das beste Mittel für die Kunst der Verstellung und Vertuschung ist eine blumige Sprache, die das ganze Ansinnen in einer Wolke von Höflichkeitsformeln versteckt und es einem europäischen Gast mitunter sehr erschwert, die wahre Absicht |23| zu erkennen. Ähnlich verhält es sich mit der Stimmungslage der Iraner. Erst Tage später erfährt man, wenn man sie in einer Situation unbewusst beleidigt hat (bar khordan) oder einen Fauxpas begangen hat. Sie würden es sich nie anmerken lassen und es erst recht nicht zur Sprache bringen. Gerade in politischen Verhandlungen ist daher eine iranische Verhandlungsposition nur schwer zu durchschauen. Da man sein Gesicht bewahren will, keine offene Konfrontation sucht und vor allem dem Anderen gegenüber nicht unhöflich erscheinen will, macht man gute Miene zum bösen Spiel. Seine offene Absicht tut man später unter Freunden und Vertrauten kund.
Deutsche Direktheit und Zielstrebigkeit vertragen sich nicht gut mit der Kunst des Taroof – der iranischen Höflichkeitskultur.
|24| 2 Ahmadinedschad – ein Mann gegen den Rest der Welt
Für die Armen im Iran ist er der iranische „Robin Hood“, für die Oberschicht der „Bauer“ und für den Westen der „Unberechenbare“ – die Rede ist vom iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Für viele gilt er als der gefährlichste Führer der Welt. Es gibt viele Legenden um den gelernten Bauingenieur, der es als einfacher Mann ganz nach oben geschafft hat. Nicht nur wird immer wieder darüber spekuliert, ob der heutige Präsident einer geheimen Spezialeinheit angehört haben soll, die im Ausland lebende Regimekritiker liquidiert hat. Auch über eine Beteiligung an der Geiselnahme in der Teheraner U S-Botschaft 1979 wird spekuliert, einige Zeugen wollen den heutigen Präsidenten auf Bildern wiedererkannt haben.
Was er, unabhängig von allen Gerüchten, tatsächlich getan und vor allem gesagt hat, ist die Leugnung des Holocaust und die Infragestellung des Existenzrechts Israels. Der Holocaust sei ein Mythos, der zu dem einzigen Zweck erfunden worden sei, die Schaffung eines israelischen Staates zu rechtfertigen und durchzusetzen. Ein verbaler Fehltritt, der dem Ansehen Irans international sehr geschadet hat (siehe Kapitel „Mythos“ Holocaust). Zusätzlich haben das Säbelrasseln in der Atomfrage und das Katz- und Mausspiel um versteckte Atomanlagen den Iran außenpolitisch isoliert.
Ahmadinedschads rhetorischer Einsatz für sein Land und die Belange seines Volkes machen ihn hingegen für die arme Schicht im Iran zum Volkstribun. Gerne spielt er diese Rolle, indem er auch schon einmal zum Besen greift und medienwirksam die Straßen Teherans kehrt. Der Populist Ahmadinedschad genießt bei der Landbevölkerung und bei den unteren Schichten hohes Ansehen, da er im Wahlkampf und bei anderen |25| Anlässen großzügig Finanzhilfen verteilt hat. Viele Intellektuelle und Angehörige der Mittel- und Oberschicht können mit dem islamisch-proletarischen Präsidenten jedoch wenig anfangen. Sie werfen ihm eine katastrophale Wirtschaftspolitik, eine mangelhafte Strukturpolitik und fehlende Investitionen vor. Innenpolitisch brodelt es seit geraumer Zeit hinter den
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