Pulverfass Iran
Reformen sind möglich?
Vor diesem Hintergrund findet im Moment im Iran eine hochinteressante Debatte zwischen Hardlinern, Intellektuellen und regimekritischen Reformern über die Vereinbarkeit von Glauben und Moderne, von Islam(ismus) und Menschenrechten statt. Führende Intellektuelle und „islamische Aufklärer“ wie der Philosoph Abdulkarim Sorusch halten gar Islam und Menschenrechte nach westlichen Vorstellungen für vereinbar. Kritiker fordern die strenge Trennung von Staat und Religion oder erklären den Gottesstaat gleich für vollkommen gescheitert. 3
Eine weitere spannende Frage ist, wie der Machtkampf zwischen den wichtigsten politischen Lagern ausgehen wird: Welche Rolle spielt die Geistlichkeit um den Pragmatiker Akbar Hashemi Rafsandschani, der jahrzehntelang die Geschicke des Landes lenkte? Wie krank ist der „Revolutionsführer“ Ali Chamenei – und hält er die Macht überhaupt noch in den Händen? Und schließlich: Welche Rolle spielt die sektiererische Clique um Präsident Mahmud Ahmadinedschad?
Der Iran hat im Laufe seiner Geschichte häufig eine Vorreiterrolle für viele Länder in der arabisch-islamischen Welt eingenommen. Zwei Revolutionen gingen vom Iran aus – 1906 die sogenannte „Verfassungsrevolution“, die ein parlamentarisches System einrichten wollte, und 1979 die „Islamische Revolution“. Die Grüne Bewegung 2009 schließlich war der Auslöser für die arabischen Revolutionen 2011. Es bleibt abzuwarten, welche Entwicklung der Iran in den nächsten Jahren nehmen und welche Auswirkungen das auf den Nahen Osten und die islamische Welt haben wird.
|12| 1 Wer sind die Iraner?
Das Psychogramm eines Landes
Seit über drei Jahrzehnten nun, seit der Islamischen Revolution 1979, schaut die Welt mit einer Mischung aus Entsetzen und Faszination auf den Iran. Waren es in den 60er- und 70er-Jahren noch glamouröse Bilder des Herrscherpaares auf dem Pfauenthron, Schah Reza Pahlavi und seiner Frau Farah Diba, die die Klatschspalten der Boulevardpresse schmückten, so taucht der Iran heutzutage meist im Zusammenhang mit dem Säbelrasseln in der Atomfrage in den Medien auf.
Doch der Iran und die iranische Gesellschaft haben mehr zu bieten und sind offener, als es die im Westen vermittelten Bilder vermuten lassen. Viele Touristen, die den Iran erstmals besuchen, berichten von einer überwältigenden Gastfreundschaft der Iraner. Besonders als Fremder wird man überall herzlich begrüßt, mit großem Respekt behandelt und häufig nach nur kurzem Kennenlernen privat nach Hause eingeladen. Die Iraner sind aber nicht nur sehr gastfreundliche, sondern auch sehr höfliche Menschen. Die herzliche und einladende Art, wie sie Fremden, aber auch ihren Landsleuten begegnen, ist seit Jahrhunderten durch einen sehr eigenen und für viele Außenstehende kaum zu durchschauenden Verhaltenskodex bestimmt. Diesen Verhaltenskodex könnte man auch als eine Art „Höflichkeitskultur“ bezeichnen. Innerhalb einer Familie sind die Höflichkeitsregeln und Umgangsformen manchmal so ausgeprägt, dass es vorkommen kann, dass Vater und Sohn sich jahrzehntelang mit „Sie“ ansprechen. Klischeehaft und oberflächlich ist das Bild, das man von der Stellung der Frau in der islamischen Welt und speziell im Iran hat. Es ist wahr, dass es im Iran einen Schleierzwang gibt, aber in den Alleen Teherans fallen einem die selbstbewussten und trotz Schleier mit einer großen Prise Sex-Appeal ausgestatteten Frauen und Studentinnen |13| auf, die alles andere zu sein scheinen als hörige, unterwürfige Persönlichkeiten. Passt es etwa ins Bild, dass es an iranischen Hochschulen bereits Männerquoten gibt, da über zwei Drittel der Studierenden Frauen sind? Auch wenn die Frauen dem Gesetz nach im Hinblick auf das Scheidungs-, Erbschafts- und Sorgerecht im Vergleich zu den Männern benachteiligt sind, offenbart das im Westen vermittelte Bild, ob in den Medien oder in der Politik, leider häufig einen undifferenzierten Blick auf das, was in dem 8 0-Millionen -Land vor sich geht. Doch bei aller Sympathie für die Menschen, die man nicht mit den Machthabern verwechseln sollte, darf man natürlich nicht verschweigen, dass im Iran nicht erst seit den blutigen Auseinandersetzungen im Juni 2009 systematisch Menschenrechte verletzt, Presse- und Meinungsfreiheit stark einschränkt werden und das Land auf allen Ebenen durchsetzt ist von Korruption und Vetternwirtschaft.
Zum Verständnis der Iraner und der iranischen Kultur gehört auch,
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