Puppengrab
Mann davon hat, Frauen zuzuhören, die vor Schmerzen schreien und um ihr Leben betteln.«
»Lust«, erwiderte er schlicht. »Orgasmen, die so intensiv sind, dass ich glaube zu vergehen. Aber vor allem … Stille.«
Stille? Er hatte das Wort so andächtig ausgesprochen, dass Beth noch stärker zitterte. Sie wünschte, sie könnte ihre Fragen zurücknehmen, denn sie wollte keine der Antworten wissen. Sie wollte auch nicht miterleben, wie sich dieser böse Mensch Vergnügen verschaffte, indem er seine Greueltaten, deren Ausmaß Beth nur ahnen konnte, noch einmal erlebte.
Oh, Abby, wo bist du?
Ihr Kummer unterdrückte jedes andere Gefühl, und Beth musste die Zähne zusammenbeißen, um nicht in ein herzzerreißendes, verzweifeltes Schluchzen auszubrechen. Sie zwang sich, sich auf den Kassettenrecorder zu konzentrieren, um der Nachwelt etwas zu hinterlassen, aus dem vielleicht irgendwann einmal die Gründe dieses Verrückten erklärlich würden. »Warum wolltest du Anne Chaney umbringen?«
Er war die Längsseite des Hochstands auf und ab geschritten, doch blieb nun stehen.
»Sie war eine Heuchlerin. Sie alle sind Heuchlerinnen gewesen.« Er blickte sie streng an.
»Anne Chaney war eine Schlampe, die gelogen und betrogen hat. Während einer Konferenz hat sie sich jeden Mittag mit ihrer Freundin in meinem Hotel getroffen. Sie kannten sich schon seit dem College. Zur Begrüßung gab’s Küsschen auf die Wange, dann haben sie gelacht und getratscht und über die guten alten Zeiten geredet. Und zum Abendessen sind sie alle gemeinsam ausgegangen – Anne, ihre beste Freundin vom College und deren Mann. Willst du wissen, Beth, was passiert ist, nachdem sie ihre Cocktails ausgetrunken und sich eine gute Nacht gewünscht hatten?«
Nein, will ich nicht.
»Der Ehemann ihrer Freundin ist ins Hotel zurückgekommen. Anne hat die ganze Nacht den Mann ihrer besten Freundin gevögelt.«
Beth war geschockt. »Und dann hast du eigenhändig beschlossen, die Welt von Ehebrecherinnen zu befreien? Ich habe aber niemanden betrogen.«
Seine Augen wurden glasig, zwei kalte, kupferfarben glänzende Knöpfe in seinem Gesicht. »Nein«, erwiderte er leise. »Bist du nicht. Du bist schlimmer. Du bist die schlimmste Heuchlerin von allen.«
Ein Kälteschauer rann Beth über das Rückgrat und nahm einen großen Teil ihrer Widerstandskraft mit sich. »Ist es wegen Abby?«
»Ich habe dir gesagt, dass ich Abby nicht will. Blut hat nichts zu sagen.«
»Warum dann?«
Er drückte ihr die Waffe unter das Kinn. »Du hast Jenny verletzt.«
»Immer wieder sagst du das. Aber ich habe Jenny noch nie getroffen! Jenny ist vor achtzehn Jahren verschwunden. Sie ist tot.«
Er schien ihr nicht zuzuhören, als er zu der Sporttasche ging, seine Waffe im Hosenbund. Langsam, fast andächtig, hob er mit beiden Händen einen Gegenstand heraus. Klein, rund und weiß. Etwas Glattes und …
O Gott.
Beth wich beim Anblick des kleinen Schädels zurück, der im silbernen Mondlicht in Chevys Händen glänzte. Er hielt ihn vorsichtig wie ein rohes Ei, und eine Träne floss ihm über die Wange.
»Jenny, darf ich dir Beth vorstellen. Sie wird endlich für ihre Taten zahlen.«
[home]
57
N eil schob sich durchs Unterholz auf vier Agenten zu, Harrison dicht auf den Fersen. Noch während der Krankenwagen mit Abby davonfuhr, hatten sie einen Anruf von Copeland bekommen. Die Hunde hatten Witterung aufgenommen. Seither hatte Neils Puls nicht mehr gleichmäßig geschlagen.
Copeland hob die Hand, um ihn aufzuhalten. »Stopp. Wir können noch nicht weitergehen.«
»Weiß man schon, in welchem Gebiet?«, fragte Neil.
Copeland legte einen Finger an den Ohrenstöpsel und lauschte. Dann nickte er. »Die Hunde haben Denisons Geruch gewittert. Sobald wir das Gebiet enger eingekreist haben, ziehen wir die Hunde zurück.« Er wandte den Blick ab und konzentrierte sich auf die Stimme in seinem Ohr. »Im Ernst?« Er blickte Neil an. »Okay.«
»Was gibt’s Neues?«
»Das Labor hat die Babyknochen untersucht, die wir am Fluss gefunden haben. Beim dem Kind handelte es sich um einen Jungen.«
Neil runzelte die Stirn. »Nicht um Jenny?«
»Anscheinend nicht. Sie haben es noch nicht geschafft, die Windelquittung exakt zurückzudatieren oder die erste Seite der Bibel zu rekonstruieren. Aber vielleicht hat es wirklich ein Kind vor Chevy gegeben. Einen Jungen.«
»Vielleicht.« Neil dachte kurz darüber nach, aber es kümmerte ihn eigentlich nicht mehr. Sie hatten Abby zurück,
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