Puppengrab
nicht mehr benutzen, es war schon zu riskant. Der Kalender der Toten verriet, dass sie heute Morgen um neun Uhr einen Friseurtermin gehabt hätte. Vielleicht wurde sie bereits vermisst. Vielleicht war ihr Fehlen sogar schon gemeldet worden. Normalerweise gab es keinen Grund, sich schon so früh Gedanken zu machen. Doch nachdem die Polizei auf den Spuren von Lila Beckenridge und Thelma Jacobs ermittelte, konnte es sein, dass die Behörden die Vermisstenmeldung einer Frau ernst genug nahmen, ohne die üblichen vierundzwanzig Stunden verstreichen zu lassen.
Er betrachtete das Handy. Die Frustration, Beths Stimme nicht hören zu können, verursachte ihm fast körperliche Schmerzen. Doch das Risiko, dass dieses Handy überwacht wurde, stieg mit jeder Minute. Er durfte jetzt nicht leichtsinnig sein.
Er schaltete das Gerät aus und schleuderte es hinab in die Tiefe. Dann zog er einen Stift aus der Tasche und hakte die Versicherungspolice der Puppe ab, die gerade in den Abgrund gerauscht war. Er dachte bereits an seine nächste Etappe und blätterte auf die vierte Seite.
Ah, ja.
Diese
Puppe. Ein wohliger Schauer erfasste ihn. Dafür würde er sich ein paar neue Kassetten besorgen müssen.
»Ah, Beth, wo steckst du? Geh doch ans Telefon, Schätzchen. Ich muss mit dir sprechen …«
Beth saß an einem kalten Metalltisch im Vernehmungszimmer und hielt die Augen geschlossen, als die Aufnahme der Nachricht aus Omaha aus dem Digitalrecorder tönte. Der Lieutenant hatte sie ihr jetzt schon zum dritten Mal vorgespielt. Doch wenn er glaubte, dass die Wiederholung sie irgendwann mürbe machen würde, hatte er sich gewaltig getäuscht. Sie blendete sie einfach aus.
»Ms. Denison?« sagte Lieutenant Sacowicz, als er das Gerät abschaltete. »Gibt es irgendetwas, das Sie uns sagen wollen?«
Finden Sie ihn. Töten Sie ihn. Löschen Sie ihn aus meinem Leben.
»Nein.«
»Können Sie uns erklären, weshalb Sie eine Waffe in Ihrer Handtasche haben?«
»Ich bin eine alleinerziehende Mutter, die ihre Tochter beschützen muss«, antwortete Beth in Gedanken an die . 22 er Derringer, die sie seit kurzem wieder bei sich trug. »Ich besitze einen Waffenschein.«
»Kampfkunst, Kickboxen, eine Taschenpistole. Es scheint Ihnen mit Ihrer Sicherheit ja ziemlich ernst zu sein.«
Ja.
Der Lieutenant blickte sie an. Seine Augen hatten die Farbe von Zinn. Plötzlich schaltete er die Aufnahme wieder ein, und diesmal war Beth nicht darauf vorbereitet. Eine Welle der Panik erfasste sie, als sie Bankes’ Stimme hörte. Ihr wurde übel.
Reiß dich zusammen. Lass die Angst nicht siegen. Omaha ist immer noch weit weg.
Doch das Zittern setzte sofort ein, tief in ihren Knochen. Sie verschränkte die Arme eng vor der Brust und versuchte, sich gegen die Schauer zu wehren. Es half nichts. »Ich muss jetzt gehen«, sagte sie, bemüht, ihre Stimme nicht laut werden zu lassen. »Abbys Baseball-Training ist in einer halben Stunde zu Ende.«
Der Lieutenant rieb sich mit einer Hand über das Gesicht. »Das Problem ist, dass Sie anscheinend noch einige Zeit benötigen, um über diese Sache nachzudenken, Ms. Denison. Überlegen Sie noch einmal, ob Ihnen nicht doch ein Name einfällt.«
»Was? Aber Abby wird auf mich warten. Ich muss sie abholen.« Doch der Lieutenant blieb stur. Beth konnte es nicht fassen. »Es liegt nichts gegen mich vor. Sie können mich nicht einfach hier festhalten.«
Er schüttelte den Kopf. Es war eine langsame, erschöpfte Geste, die ihn älter aussehen ließ, als er wahrscheinlich war. »Wie Sie wollen.« Er seufzte. »Ich verhafte Sie wegen Behinderung der Justiz und Verweigerung der Zusammenarbeit im Rahmen einer polizeilichen Ermittlung. Sie haben das Recht zu schweigen, auch wenn ich Ihnen das nicht sagen muss«, fügte er hinzu. »Wenn Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie sagen …«
»Halt! Was ist mit meiner Tochter?«
»Gibt es jemanden, den Sie anrufen können, um sie abholen zu lassen?«
Beth spürte, wie Verzweiflung ihr Herz umschloss.
Ich bin im Gefängnis, Evan. Könntest du Abby abholen? Hannah, würde es dir etwas ausmachen, auf Abby aufzupassen, bis ich aus dem Gefängnis entlassen werde?
»Na gut«, sagte Sacowicz, der ihr Schweigen als Antwort interpretiert hatte. »Ich kümmere mich um sie. Shaw Park, stimmt’s? Das Team von Trainer Mike, die Marienkäfer.«
»Warten Sie!«, rief Beth, von Panik überwältigt.
Chevy Bankes! Sein Name ist Chevy Bankes. Aber Sie können ihm nichts anhaben.
Weitere Kostenlose Bücher