Puppengrab
ich das wissen?
Ich
habe die Nachricht schließlich nicht abgehört.«
Er drückte die entsprechenden Tasten und hielt ihr das Handy ans Ohr. Als sie die Nachricht abhörte, wich ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
»Ms. Denison?«, sagte Neil, doch sie schien ihn nicht zu hören. Als er ihre Schulter berührte, erschrak sie fast zu Tode. Neil legte die Stirn in Falten. Vor dreißig Sekunden hatte die Frau noch Gift und Galle gespuckt. Und jetzt sah sie aus, als sei ihr der Tod persönlich begegnet.
Doch es blieb ihm keine Zeit, darüber nachzudenken. Zwei uniformierte Männer kamen durchs Restaurant auf sie zu, und Neil ließ das Handy zurück in ihre Handtasche gleiten. Er trat beiseite, als die Beamten bei ihnen ankamen.
»Ms. Denison«, sagte ein kahl werdender Beamter, »Lieutenant Sacowicz möchte, dass wir Sie aufs Revier begleiten.«
»Was?« Sie sah Neil an, und in ihrem Blick lagen Entsetzen und Wut. Dann blickte sie wieder die beiden Beamten an. »Warum, zum Teufel, soll ich mitkommen?«
»Sie sollen uns nur ein paar Fragen beantworten«, entgegnete der andere Beamte, ein auffallend blonder Mann, der gerade einmal Anfang zwanzig sein mochte. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er ihn wahrscheinlich vor dem Spiegel geübt hatte. »Es sei denn, Sie bevorzugen die harte Tour«, fügte er hinzu.
Elizabeth Denison wirkte wie benommen, nur in ihrem Blick glomm der Vorwurf des Verrats. Sie starrte Neil an, und die Erinnerung stach ihn wie ein Dolch in die Brust.
Verdammt, Heather, ich kann dir nicht helfen, wenn du nicht ehrlich mit mir bist …
Er fluchte.
Was für ein beschissenes Déjà-vu.
Omaha, Nebraska
1159 Meilen entfernt
Chevy schob die Arme der Frau auf den Fahrersitz des Hondas. Er trat zurück und lugte über die Kante der Schlucht. Er stand auf einem Felsvorsprung, der zu einem stillgelegten Steinbruch in fünfundvierzig Metern Tiefe führte. Das Ende der Welt. Der Rückweg würde zwar lang werden, doch er musste sich keine Sorgen machen, dass die Frau gefunden wurde. Das war entscheidend für seinen Plan. Die Frau sollte weiter
vermisst
bleiben. Wie schon die Frau aus Denver.
Er setzte der Toten die Puppe in den Schoß und lächelte ein wenig bei dem Gedanken, dass all das Geld nun über die Klippe und in die Vergessenheit stürzen würde.
Benoit, 1864 , Originalkleidung. Kopf und Brust aus Biskuitporzellan, kindlicher Körper. Gehört zu einem Paar, das bis 1995 in der Larousse-Sammlung fehlte. Geschätzter Wert: 20 000 bis 25 000 $.
Noch eine wertvolle Puppe, die Beth niemals sehen würde.
Verdammt. Er wünschte sich, er hätte nicht schon wieder an sie gedacht. Der einzige Makel an seinem Plan bestand bislang darin, dass sie heute Morgen nicht ans Telefon gegangen war. Ihm nicht die Chance gegeben hatte, die Daumenschrauben etwas anzuziehen. Es war gefährlich gewesen, ihr eine Nachricht zu hinterlassen, doch Chevy hatte schließlich seinem Drang nachgegeben. Er musste ihre Stimme hören, auch wenn es nur ihre Mailbox-Ansage war. Er musste sichergehen, dass ihr Herz panisch zu rasen begann, wenn sie die Nachricht abhörte. Und er musste sichergehen, dass sie litt.
Nicht wie Mutter. Sie hatte nie gelitten. Sie war von einem auf den nächsten Herzschlag gegangen. In der einen Sekunde hatte sie noch unablässig ihre Kinderlieder gesummt, in der nächsten rasselte der Tod in ihrer Kehle. Und eine Pistole, Kaliber 38 , lag in ihrer Hand.
Chevy schüttelte die Erinnerung ab und schob die Automatikschaltung auf Neutral. Dann lief er ans Heck des Hondas, drückte mit der Schulter gegen die Stoßstange und begann zu schieben. Die Räder bewegten sich, und je näher er der Schlucht kam, desto mehr neigte sich der Kühler nach unten. Chevy atmete heftig, während er schob. Das Auto bewegte sich einige Zentimeter, dann noch einige Zentimeter, und schließlich, als die Vorderreifen die Kante überquert hatten, nahm der Wagen Fahrt auf und begann, das Gefälle hinabzurollen. Eine Sekunde später hatte der letzte Schwung den Wagen in die Schlucht befördert.
Chevy lauschte, bis er das Aufschlagen von Metall auf dem Boden hörte. Die Geräuschwolke wirbelte vom Grund des Steinbruchs zu ihm herauf wie ein Schrei. Dann zog er das Handy der Toten hervor und begann, Beths Nummer zu wählen. Plötzlich hielt er inne.
Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war zwei Uhr, in Virginia noch eine Stunde später. Gott, er wollte unbedingt mit Beth sprechen, doch er konnte das Handy dieser Frau
Weitere Kostenlose Bücher