Puppenrache
Leute sie neugierig musterten. Sie merkte, wie ihre Hand zitterte. Vielleicht hatte sie sich das alles nur eingebildet. Vielleicht hatten ihre Nerven ihr einfach nur einen Streich gespielt. Aber hatte er nicht genauso gegrinst? Genauso gesprochen? Und doch konnte es nicht sein. Es war einfach unmöglich.
»Es geht schon wieder, danke«, sagte Sara und gab Lisa die Flasche zurück.
»Bist du sicher?«, fragte Lisa besorgt und stellte die Flasche neben die Kasse.
Sara nickte und versuchte sogar ein Lächeln. »Wirklich, ich weiß auch nicht – vielleicht hätte ich heute Morgen doch mehr frühstücken sollen.« Sie zuckte die Schultern, als wäre sie selbst über sich erstaunt. »Kommt nicht wieder vor«, versicherte sie hastig. »Ich mach dann mal weiter.«
»Na gut.« Lisa seufzte. »Du siehst ja, wie viel hier los ist. Freitag halt. So schnell krieg ich keinen Ersatz für dich.«
»Ja«, sagte Sara, »kein Problem, wirklich, es geht.«
Lisa musterte sie noch mit einem längeren Blick, nickte dann aber und ging an die letzte Kasse, die sie nur aufmachte, wenn wirklich sehr viel Betrieb war.
»Kommen Sie rüber zu mir«, sagte sie zu den Leuten in der Schlange und Sara blieb noch ein wenig Zeit durchzuatmen.
Sie trank den Rest Cola und versuchte, den Vorfall aus ihrem Gehirn zu löschen.
Um zehn nach fünf nahm sie die Geldschublade aus der Kasse und lieferte sie bei Lisa im Aufenthaltsraum ab, die nachzählte, ob der Betrag auf der Kassenrolle mit dem Inhalt der Geldschublade übereinstimmte. Während Lisa zählte, musste Sara wieder an den Vorfall denken – das Gesicht wollte einfach nicht aus ihrem Kopf verschwinden, ganz egal, wie sehr sie sich auch bemühte.
»Es fehlen vierzig Dollar fünfundachtzig, Sara.« Lisa sah sie vorwurfsvoll an, doch nur eine Sekunde später nahm ihr Gesicht einen sorgenvollen Ausdruck an. »Was ist nur los mit dir?«
Sara zuckte die Schultern.
»Du hast falsch rausgegeben. Vielleicht waren zwei Scheine zusammengeklebt…« Lisa seufzte. »Tja, die 40 Dollar müsste ich dir eigentlich vom Lohn abziehen, aber… bist du krank?«
»Nein.«
»Schwanger?«
Sara erschrak und fasste sich unwillkürlich an den Bauch. »Nein!«
»Sicher?«
»Ja!«, sagte Sara ärgerlich. Stephen und sie benutzten immer Kondome.
Lisa zögerte, dann sagte sie: »Also, ich notier mir die vierzig Dollar… aber… es darf nicht wieder vorkommen, ja?«
»Danke«, sagte Sara leise, schloss ihren Spind auf und nahm ihre Handtasche raus. Sie warf Lisa noch einen letzten Blick zu, verabschiedete sich dann und ging. Sie wollte nach Hause, sich verkriechen, tief und traumlos schlafen. Sie musste bloß den Weg dorthin bewältigen.
Ein scharfer Wind pfiff durch die Straßenschluchten und zwang sie, tief zu atmen. Der Sauerstoff tat ihr gut und sie stellte sich vor, wie er alle schrecklichen Gedanken und Bilder einfach mit sich davontrug.
Als Sara den noch immer makellos blauen Himmel über sich sah, fühlte sie sich erschöpft und wollte einfach nur nach Hause. Stephen war sicher schon zum Bondi Beach gefahren. Sein Chef im Elektroshop erlaubte ihm an solchen Tagen, früher Feierabend zu machen. Er war selbst mal ein begeisterter Surfer gewesen.
Sie probierte es zwar auch immer wieder und zuerst fühlte sie sich nicht allzu schlecht, wenn sie auf ihrem Board im Wasser lag und auf die Welle wartete. Aber dann, wenn die Welle heranrollte und sie langsam hinaufhob und sie sich aufs Brett stellte, in dem Moment überfiel sie eine schreckliche Panik. Ihr Magen spielte verrückt, ihr wurde übel und sie fing an zu zittern und musste sich wieder aufs Brett knien. Dann klammerte sie sich fest und hoffte nur noch, dass sie so schnell wie möglich zurück an den Strand getragen wurde.
»Wovor hast du nur Angst?«, hatte Stephen sie immer wieder gefragt. Aber sie hatte ihm keine Antwort geben können. Sie wusste es ja auch nicht. Früher hatte sie keine Angst gehabt. Da war sie öfter mit ihren Freundinnen und deren Eltern übers Wochenende zur Goldcoast gefahren. Sie dachte an Amber und wie sie am Strand in der Sonne gelegen und Eis gegessen hatten und… Vielleicht lag es daran, dass sie einfach Angst davor hatte, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
»Sorry!« Eine junge Frau im Bürooutfit hatte sie angerempelt und entschuldigte sich lächelnd. Sara wollte ihr Lächeln erwidern, aber ihre Gesichtsmuskeln fühlten sich an wie eingefroren.
Überhaupt, die Leute, die aus den Büros strömten, kamen ihr
Weitere Kostenlose Bücher