Puppentod
herab, während die Journalisten von den Stühlen aufsprangen und sie mit ihren Fragen bestürmten. Ilona Berger aber blieb wie angewurzelt zwischen all den aufgeregten Menschen stehen und setzte ihre Ausführungen fort, ohne auch nur auf eine einzige der Fragen einzugehen. Ruhig und gefasst erzählte sie ihre Geschichte.
»Mein Mann arbeitete von 1996 bis 1998 bei MediCare als Chefchemiker. Rudolf Westphal hatte ihn noch nicht in seine Betrügereien eingeweiht, aber mein Mann durchschaute die Manipulation der Medikamentenherstellung und sammelte die entsprechenden Beweise. Entsetzt über die Vorgänge, bat er Rudolf Westphal am Abend des 3. April 1998 um ein Gespräch. Er forderte ihn auf, den Medikamentenbetrug sofort aufzuhalten. Dazu war Rudolf Westphal aber nicht bereit, zu viel schnelles Geld ließ sich damit verdienen. Und als mein Mann ihm drohte, zur Polizei zu gehen und sich an die Öffentlichkeit zu wenden, hat er ihn eiskalt erschossen.«
In dem Presseraum war es jetzt mucksmäuschenstill. Niemand stellte mehr eine Frage oder fotografierte.
»Ich bin halb wahnsinnig geworden«, fuhr Ilona Berger fort, »als mein Mann an diesem Abend nicht nach
Hause kam. Alle Krankenhäuser und Polizeistationen der Stadt habe ich in dieser Nacht angerufen, weil ich glaubte, er hätte einen Unfall. Mit all unseren Freunden habe ich telefoniert, die Kollegen vom Labor angerufen, aber niemand hatte von meinem Mann etwas gehört. Ich war vollkommen verzweifelt. Ich war zu diesem Zeitpunkt hochschwanger und hatte eine zweijährige Tochter. Wir hatten gerade ein Haus gebaut und einen hohen Kredit aufgenommen. Ich hatte wirklich panische Angst um meinen Mann.
Als am nächsten Tag Rudolf Westphal zu mir kam und sagte, dass mein Mann tot sei, war ich am Ende meiner Kräfte. Er sagte, es sei ein Unfall gewesen, aber er wusste, dass ich ihm das nicht abnahm, und es war ihm auch egal. Er war gekommen, um mich vor die Wahl zu stellen: Entweder ich gehe mit den Beweisen meines Mannes zur Polizei und bringe die Wahrheit ans Licht, oder ich schweige, und er wird mir so viel Geld geben, dass ich den Kredit für das Haus bezahlen und mit meinen Kindern ein finanziell abgesichertes Leben führen kann.«
Sie zog ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche und trocknete ihre Tränen. Dann sagte sie mit zitternder Stimme: »Ich habe sein Geld genommen, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte. Ich habe eine sehbehinderte Tochter, ich erwartete damals das zweite Kind, und der hohe Kredit für das Haus musste bezahlt werden. Deshalb habe ich das Geld genommen, für meine Kinder. Da ich aber in der besagten Nacht überall angerufen hatte und alle Freunde und Bekannten sich nun nach dem Verbleib meines Mannes erkundigten, bin ich - auf
Anraten von Rudolf Westphal - zur Polizei gegangen und habe ihn als vermisst gemeldet. Dabei habe ich mich so aufgeregt, dass ich das Baby verlor. Am nächsten Morgen kam es tot zur Welt. Das war die dunkelste Stunde meines Lebens.
Rudolf Westphal hat sich mein Schweigen erkauft, und ich habe mir all die Jahre über eingeredet, es für meine Tochter Anja zu tun. Aber damit ist jetzt Schluss. Ich werde nicht mehr länger schweigen, so wie auch mein Mann nicht geschwiegen hätte. In diesem Ordner sind alle Beweise, die mein Mann zusammengetragen hat und den ich nun der Staatsanwaltschaft übergebe.«
Daraufhin ging sie zu Dr. Mertens, legte den grauen Aktenordner vor ihn auf den Tisch, warf Lisa einen letzten Blick zu und verließ tränenüberströmt den Presseraum.
13
Wie gebannt starrte Michael in den Fernseher. So gebannt, dass er nichts um sich herum wahrnahm. Nicht einmal Frau Meierhöfer, die mit dem Telefonhörer in der Hand vor ihm stand. Erst als sie ihn leicht am Arm anstieß, kehrte er aus seiner Versenkung zurück.
»Geht es Ihnen gut?«, wollte Frau Meierhöfer wissen.
Er nickte, obwohl davon keine Rede sein konnte. So fürchterlich wie in den letzten Minuten hatte er sich noch nie zuvor in seinem Leben gefühlt.
»Hauptkommissar Zenner hat angerufen«, sagte Frau Meierhöfer und schaltete den Fernseher aus, weil die Pressekonferenz zu Ende war. »Sie möchten bitte sofort ins Labor kommen. Er meinte, es sei dringend.«
Bevor Michael das Büro seines Vaters verließ, blieb er vor dem Gemälde seines Großvaters stehen. Er war Mediziner gewesen - ein guter Mediziner, der sich voller Hingabe der Erforschung von Wirkstoffen und Medikamenten gewidmet hatte, um Menschenleben zu retten. Nie
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