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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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nach oben in den ersten Stock, warf einen Blick in jedes der kleinen Zimmer und stieg über die Hühnerleiter hinauf auf den Dachboden. Die alte Truhe stand offen. In ihrem Schloss steckte ein verrosteter Schlüssel, und ihr Deckel war weit nach oben geklappt. Wie hypnotisiert starrte Michael hinein. Unzählige Puppen lagen darin. Puppen mit bunten Kleidern und großen Hüten. Und plötzlich - er konnte nicht sagen, warum - bekam er Angst. Angst davor, was dieser Tag ihm bringen würde.

    Michael stand in seinem Büro am Fenster und sah hinaus in den Regen. Die Stunden schlichen im Grau des Vormittags dahin, während es ihm einfach nicht gelang, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Lisas Handy war ausgestellt, und die Mailbox sprang nicht an. Tausendmal schon hatte er versucht, sie anzurufen, und genauso oft hatte die Computerstimme ihm mitgeteilt, dass der Teilnehmer nicht erreichbar sei. Er war inzwischen völlig verzweifelt und überlegte, was er tun sollte, als auf einmal im Hof Unmengen von Polizeiwagen vorfuhren. Es war wie eine Invasion. Innerhalb weniger Minuten standen überall Streifenwagen, und uniformierte Beamte strömten ins Bürogebäude und zu den Produktionshallen.
    Was in aller Welt hatte das zu bedeuten?

    Erschrocken lief er hinaus zu Frau Meierhöfer, und weil sie nicht an ihrem Platz war, riss er die Tür zum Büro seines Vaters auf. Dort saß Rudolf an seinem Schreibtisch und unterzeichnete gerade einige Papiere, die die Sekretärin ihm aus einer Unterschriftenmappe vorlegte.
    »Die Polizei ist da«, rief Michael aufgeregt.
    Verwundert blickten Rudolf und Frau Meierhöfer ihn an.
    »Wegen Martin Schuster?«, fragte Frau Meierhöfer.
    Woraufhin Rudolf knurrte, ohne sich beim Unterschreiben der Papiere stören zu lassen: »Sagen Sie bloß, der ist immer noch verschwunden.«
    In diesem Moment betraten zwei Männer in Zivil das Sekretariat.
    »Wir möchten zu Herrn Rudolf Westphal«, sagte einer der beiden.
    »Moment, bitte«, entgegnete Michael, weil er merkte, dass sein Vater keine Anstalten machte, seine Arbeit zu unterbrechen. Erst als Rudolf alle Papiere unterschrieben hatte, ließ er sich dazu herab, aus seinem Büro zu kommen.
    »Ich bin Rudolf Westphal«, sagte er zu den Männern. »Was kann ich für Sie tun?«
    »Mein Name ist Zenner, Kriminalhauptkommissar«, erwiderte einer der beiden, während er Rudolf seinen Dienstausweis unter die Nase hielt. »Polizeidienststelle München, Abteilung Wirtschaftsdezernat. Ich setze Sie davon in Kenntnis, Herr Westphal, dass mit sofortiger Wirkung alle Unterlagen, Akten und Computer Ihrer Firma beschlagnahmt sind. Ihre Mitarbeiter werden von
unseren Beamten aufgefordert, alle Tätigkeiten umgehend einzustellen. Ebenso weisen wir Sie darauf hin, dass Sie sich mit dem Vernichten von Akten oder dem Löschen von Dateien strafbar machen.«
    In Rudolfs Gesicht erstarb jegliches Lächeln. »Was soll das?«, fragte er scharf. »Was werfen Sie uns vor?«
    »Manipulation, Betrug, Korruption. Zu den Details kommen wir später«, antwortete der Hauptkommissar.
    »Frau Meierhöfer, rufen Sie unsere Anwälte an«, sagte Rudolf barsch.
    »Selbstverständlich«, murmelte sie, während nun auch der andere Polizist in Zivil seinen Dienstausweis zückte.
    »Kriminalhauptkommissar Ahrend«, stellte er sich vor und fügte hinzu: »Mordkommission!«
    Entsetzt schaute Michael seinen Vater an. Rudolf war zu Stein erstarrt. Nicht einmal die Andeutung einer Bewegung zeichnete sich in seinem Gesicht ab, kein Zucken der Mundwinkel, keine in Falten gelegte Stirn, der Blick so ausdruckslos, dass nichts darin zu lesen war. Seine Mimik wirkte wie eingefroren.
    Kurz darauf betrat Harry in Begleitung eines uniformierten Beamten das Sekretariat. Er war nicht freiwillig gekommen, das verriet sein verkniffener Gesichtsausdruck.
    »Sind Sie Harald Wolfsgruber?«, wurde er von Hauptkommissar Ahrend gefragt.
    Statt zu antworten, nickte er nur. Daraufhin zeigte der Kommissar auch ihm seinen Dienstausweis. Dann wandte er sich wieder an Rudolf und sagte: »Herr Westphal, ich fordere Sie und Ihren Mitarbeiter Herrn Wolfsgruber auf, mich zu begleiten.«

    »Wohin?«, fragte Rudolf.
    »Zu Ihrer Villa«, antwortete der Kommissar.
    Michael traute seinen Ohren nicht. Und ebenso wenig seinen Augen, als er die Reaktion seines Vaters sah. Ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen oder gar zu protestieren, zog er seinen Mantel an und verließ an der Seite des Hauptkommissars wortlos das Sekretariat,

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