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Puppentod

Titel: Puppentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katharina Winter
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weinte so sehr, dass sie nichts sagen konnte. Stattdessen zeigte sie in das Innere des Bootshauses.
    Zögernd blieb Michael davor stehen. Er ahnte, dass er der Wahrheit nun ins Angesicht schauen musste. Sie würde grausamer sein, als er sich das in seinen schlimmsten Träumen hätte ausmalen können. Dennoch musste er sich der Wahrheit jetzt stellen. Lange genug hatte er die Augen verschlossen, die Zeichen nicht erkannt und alles von sich geschoben, um in einer heilen Welt zu leben. In einer Traumwelt, in der es keine Konflikte und Probleme gab, sondern nur Glück und Harmonie, und die gerade wie ein Kartenhaus vor ihm zusammenbrach.
    Er betrat das Bootshaus und blieb entsetzt an der Tür zum Büro seines Großvaters stehen. Der Raum war leer, die Fußbodenleisten herausgerissen, und vier Polizisten hatten mit Spaten und Schaufeln ein großes, tiefes Loch ausgehoben. Dort, wo früher der Mahagonischreibtisch gestanden hatte, häufte sich nun die frische Erde, und vor diesem Erdhaufen lagen Knochen und ein menschlicher Schädel. Sein Vater hatte Frank Berger erschossen und dessen Leiche unter dem Bootshaus vergraben. Michael
schloss kurz die Augen. Als er sie wieder öffnete, fiel sein Blick auf die herausgerissenen Fußbodendielen. Jetzt wusste er endlich, was er die ganze Zeit über im Bootshaus vermisst hatte: das Knarren der alten Holzdielen. Früher hatten sie unter jedem Schritt ein lautes Knarzen von sich gegeben. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass der Fußboden neu verlegt worden war. Gar nichts war ihm aufgefallen. Er war blind und taub gewesen!
    Mit hängenden Schultern verließ er das Bootshaus, ging schweigend an seiner Mutter vorbei und blieb vor seinem Vater stehen. Doch nicht einmal in diesem Moment hielt Rudolf es für nötig, ihn anzusehen, sondern starrte an ihm vorbei, während der Regen von seinem Schirm tropfte. Weder Reue noch Bedauern lagen in seinem Blick. Kein Schuldbewusstsein, keine Qual oder Scham - nichts. Nur Eiseskälte und sein verächtliches Grinsen in den Augenwinkeln. Selbst jetzt gab er sich noch überheblich und arrogant. Kopfschüttelnd wandte Michael sich ab. Er konnte das Gesicht seines Vaters nicht länger ertragen.
    Ein schwarzer Wagen fuhr vor. Auf der Fahrerseite stieg Staatsanwalt Dr. Mertens aus, auf der anderen Seite Lisa. Sie kamen auf das Bootshaus zu.
    Verzeih mir, schienen Lisas Augen zu sagen, als sie Michael gegenüberstand.
    »Haben Sie sie gefunden?«, fragte der Staatsanwalt den Hauptkommissar.
    Er nickte.
    »Alle vier?«, wollte Dr. Mertens wissen.

    »Alle vier«, bestätigte der Kommissar.
    »Wen haben Sie gefunden?«, fragte Michael verstört. Ihm fiel die Puppe ein, die heute Morgen im Haus des Puppendoktors saß. Vier Puppen waren es gewesen.
    Er bekam keine Antwort, weder vom Staatsanwalt noch vom Kommissar. Auch nicht von Lisa. Stattdessen ging Lisa auf Harry zu, stellte sich vor ihn und sah in sein ausdrucksloses Gesicht. »Nun sagen Sie es schon«, zischte sie ihn an. »Erzählen Sie es! Reden Sie!«
    Aber Harry schwieg. Er reagierte überhaupt nicht, würdigte Lisa keines Blickes.
    »Was hat das zu bedeuten?«, murmelte Michael verwirrt. »Soll das etwa heißen … dass mein Vater nicht nur Frank Berger …« Er brachte den Satz nicht zu Ende. Er konnte es nicht aussprechen.
    Verbittert lachte Lisa auf. »Nein«, sagte sie. »Frank Berger war der Einzige, der von deinem Vater umgebracht wurde.« Dann fixierte sie Harry erneut mit ihrem Blick und fügte hinzu: »Alles andere hat er für ihn erledigt. Mit der Drecksarbeit macht sich Rudolf Westphal nicht die Finger schmutzig. Dafür hat er seinen Handlanger, den Mann fürs Grobe, nicht wahr, Harry?«
    Harry blieb ungerührt.
    »Was empfindet man, wenn man unschuldige Menschen umbringt?«, fragte Lisa ihn mit zittriger Stimme. »Vielleicht einen Funken Mitgefühl? Bedauert man es, dass diese Menschen sterben müssen? Oder fühlt man nichts, wenn man so ein Schwein ist wie du, so ein kaltblütiger Mörder!« Sie spuckte ihm voller Verachtung ins Gesicht. »Mörder«, rief sie und wiederholte dieses Wort
immer wieder, so lange, bis sie zu weinen begann. Dann drehte sie sich zu Michael um und sagte: »Er hat sie einfach erschossen. Er ist an diesem Abend in das Haus des Puppendoktors gekommen und hat sie alle erschossen.«
    »Wen?«, fragte Michael bestürzt.
    Woraufhin sie unter Tränen antwortete: »Meine Mutter, meine zwei Schwestern und Lisa. Es ist ihm nicht einmal aufgefallen, dass eines der

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