Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
Familienangelegenheiten nach Hause zurückgerufen, noch bevor wir getraut werden konnten. Ich bin auf dem Weg zu ihm, nach Venedig, wo wir heiraten werden.«
Saïds Augen ließen Sarah nicht los, doch es dauerte, bis er diese Wendung wirklich verstand. Sie selbst sagte es: Sie erwartete nicht nur ein Kind, sie hatte sich auch einem Mann hingegeben, der nicht ihr Ehemann war. War sie eine leichtfertige Frau? Konnte er sich so sehr in ihr getäuscht haben? Unwillkürlich trat er einen Schritt zurück. Er sah, dass Lea sie beobachtete und dass sie Sarah zunickte.
Sarah straffte die Schultern, um Fassung bemüht. » Außerdem meinte Lea, dass ich jetzt Hilfe nötig habe.« Sie stockte und sammelte sich. Dann hob sie den Kopf und blickte Saïd an. Diese Augen … Er war froh über seinen Gesichtsschleier.
» Kennst du jemanden, der mich zur Küste bringen kann? Ich kann unmöglich allein reisen, zumindest das habe ich inzwischen begriffen. Es ist jedoch wichtig, dass ich so schnell wie möglich zu ihm gelange, das verstehst du sicher. Sobald ich am Meer bin, suche ich mir ein Schiff, das mich nach Venedig mitnimmt.« Erneut senkte sie den Kopf.
Sosehr er sich auch um Gelassenheit bemühte, Saïds Überlegungen drehten sich auf der Stelle: Sie war auf der Flucht. Es gab einen Mann in Venedig, dessen Kind sie trug. Sie flüchtete zu ihm, um sich mit ihm zu verbinden .
Erst nach und nach kamen weitere Fragen hinzu. Warum waren die beiden nicht verheiratet? War dieser Mann ein Christ, der bereits eine Frau hatte? Oder war er kein Mann von Ehre? Sie hatte von einem venezianischen Edelmann gesprochen – stellte sich seine adelige Familie gegen diese Verbindung, war ihnen Sarah vielleicht nicht gut genug? Venezianer konnten äußerst hochmütig sein. Vielleicht hatten aber auch ihre Eltern Einwände erhoben, über die sie sich hinwegsetzen wollte? Zuzutrauen wäre es ihr. Sie war wagemutig genug, kühne, dabei unkluge Dinge zu tun. Vielleicht war es aber auch Berechnung, und sie hatte den Mann verführt, um sich von ihm ehelichen zu lassen, und davor war er geflohen? Das jedoch war wohl mehr als unwahrscheinlich, sagte ihm ein Blick in ihr verzweifeltes Gesicht.
Er machte sich am Halfter seines meharis zu schaffen.
Früher, in den alten Zeiten, bevor die Araber den Islam ins Land brachten, hatten sich masirische Frauen ihre Männer selbst gewählt. Berberfrauen ließen sich scheiden und gingen neue Verbindungen ein, indem sie ihren Herzen folgten, doch diese Traditionen gehörten der Vergangenheit an. Heutzutage konnten sie vielfach noch nicht einmal mehr ihr Erbe an die Töchter weitergeben. Lediglich in einigen abgelegenen Bergregionen behaupteten sich die Sitten der Vorfahren immer noch gegenüber den Regeln des Propheten, die jener einst im Quran gesammelt hatte.
Er rückte den Sattel zurecht und überprüfte den Sitz aller Leinen. Dann klopfte er den Hals seines Reittieres und drehte sich zu Sarah herum. Was auch immer dahintersteckte, sie und dieser Mann hatten Tatsachen geschaffen. Außerdem, dessen war er sicher, würde Sarah diese Reise auf jeden Fall bis zum Ende gehen, komme, was wolle. Und bis dahin war sie seine Schutzbefohlene.
Saïd legte seine Hand auf ihre Hand und strich mit dem Daumen darüber. Sie fühlte die raue Wärme und die Schwielen. Sie hob den Kopf.
» Willst du tatsächlich nach Venedig?«, fragte er. Seine Stimme kam tonlos unter dem Schleier hervor, der seine Züge verbarg.
Sie senkte die Augen, damit er nichts von der Unsicherheit darin las, die nach ihr gegriffen hatte. Sie gehörte nicht mehr nur zu Marino, sie hatte inzwischen auch keine Wahl. » Ja, ich will«, antwortete sie.
Erneut nestelte er an den Leinen seines meharis. Je länger er nach einer Lösung suchte, desto ruhiger wurde er, und endlich wusste er, was zu tun war. Was immer sie tat oder getan hatte, darüber stand ihm kein Urteil zu, aber als freier Masir, als Sohn und Sheïk der Familie der Aït el-Amin, kannte er seine Aufgabe.
» Dein Weg führt durch unsicheres Gebiet, du kannst ihn nicht ohne Schutz gehen. Azîzas Route nach Miknas hingegen ist sicher. Unter Abdallahs und Hamids Obhut wird sie die Strecke in weniger als drei Tagen bewältigen. Ich selbst werde dich also ans Meer bringen.«
Sarah presste die Lippen zusammen. Saïds Worte, aber noch mehr sein Tonfall machten ihr klar, dass er es als seine Pflicht empfand, sie zu begleiten, dass es mit ihrer bisherigen Vertrautheit jedoch vorbei war. Sie nickte.
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