Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
hatte nicht gefragt. Er hatte sowieso die meiste Zeit geschwiegen.
Dennoch war seine Gelassenheit dahin. Wieder musste er an die masirischen Frauen früherer Generationen denken, die frei und unabhängig lebten. Sarah war ihnen ähnlich, offen, eigenwillig und überraschend, wie die Wüste, deren Fährten man zu kennen glaubte. Sobald jedoch Sandstürme über das vertraute Terrain fegten, wurden Dünen versetzt und ganze Landschaften neu gestaltet. So war Sarah. Wie ein Sturm, der den Sand beiseitefegte, hatte sie seine Wurzeln freigelegt. Unabsichtlich, wie er wusste, deshalb aber nicht weniger schmerzhaft.
Nun, da sie aus seinem Leben verschwand, musste er sich eingestehen, dass er diese Frau mit den blauen Augen verehrte, obwohl sie in ihm das Unterste zuoberst kehrte.
Es wurde höchste Zeit, dass Brahim zurückkehrte, er würde ihm raten können.
Das Schiff verschwand im Dunst der Ferne. Saïd hob seine Hände zu einem kurzen Gebet, dann verließ er den Hügel, befestigte Sarahs und Yasmînas Reittiere am Sattel seines meharis und ritt den Weg zurück, den er gekommen war.
20
Santa Cruz
Zusammengesunken und den Blick irgendwo zwischen die Ohren des Pferdekopfes gesenkt, ritt Miguel mit seinen beiden Begleitern durch die Dämmerung. Er schaute nicht, wohin sein Pferd die Hufe setzte, er ließ es laufen, wie es wollte. Es war ihm einerlei, gleichgültig, mochte er sich auch den Hals brechen.
Bis hinauf nach El-Jadida hatte er jeden Hafen, jedes Fischerdorf und jeden Anlandeplatz abgesucht. Alle Welt hatte er befragt, hatte mit Fischern, Matrosen, Hafenarbeitern gesprochen, jeden Stein umgedreht … Vergeblich. Niemand hatte Sarah gesehen.
Wie Medern bereits vor seinem Aufbruch vermutet hatte, gab es an der ganzen Küste nur zwei größere Schiffe, die in den letzten Wochen nach Norden abgelegt hatten und die vielleicht in der Lage waren, den Piraten zu entkommen. In ihren Häfen hatte er besonders hartnäckig nachgefragt, doch auch dort hatte man weder Sarah noch Yasmîna gesehen. Nirgendwo gab es eine Spur. Was konnte ihr nur zugestoßen sein?
Sosehr er sich auch den Kopf zermarterte, er verstand immer noch nicht, was genau der Anlass für Sarahs Fortgehen war. Kein Mensch konnte das verstehen. In den Tagen, in denen er die Küste abgesucht hatte, hämmerte die immer gleiche Frage in seinem Kopf: Was haben wir falsch gemacht? Sie hatte doch alle Freiheiten, die man ihr nur irgend zugestehen konnte. Was also konnte ihr gefehlt haben? Und dann diese dürre Mitteilung, sie würde ihr Leben in die eigenen Hände nehmen – so ein gottverdammter Blödsinn! Wie denn, was sollte das überhaupt bedeuten? Sie hatte kaum etwas mitgenommen, nur das Nötigste, hatte Mirijam gesagt. Ein paar Perlen, ein wenig Geld, kaum Kleider … Wie wollte sie zurechtkommen?
Und wohin waren ihre vier Maultiere verschwunden? Auch diese Frage ließ sich nicht beantworten, denn es war ja wohl mehr als unwahrscheinlich, dass sie den Weg über Land genommen hatte. Seine Tochter war doch ein vernünftiger Mensch.
Mit dem Blut seines Herzens hätte er sie verteidigt, und eigentlich hatte er angenommen, das wüsste sie. Auch Mirijam hätte ihr Leben für das der Tochter hingegeben. Daher blieb nur ein Schluss übrig: Man hatte Sarah entführt.
Er konnte sich weder das Wie noch das Warum vorstellen, außer, dass sie Sklavenhändlern in die Hände gefallen war, eine andere Schlussfolgerung blieb kaum übrig. Aber wie sollte er mit dieser Erklärung vor Mirijam treten?
Nachdem sie viele Male mit Sarahs Freundinnen gesprochen hatte, alle Dienstboten, Gehilfen, Seeleute und Nachbarn befragt und sämtliche Lagerhäuser gründlich durchsucht hatte, hatte es Mirijam zuhause nicht mehr ausgehalten und war auf dem schnellsten Weg nach Mogador geeilt. Dort befragte sie ebenfalls alle Menschen, die sie kannte, von den Freundinnen über ihre Arbeiterinnen und deren Familien bis zu den Hafenbehörden. Nichts. Niemand hatte Sarah gesehen, und auch Yasmîna nicht, mit der sie verschwunden zu sein schien.
Beide, Miguel und Mirijam, kehrten ratlos und mit leeren Händen in ihr Haus in Santa Cruz zurück.
3. Teil – VENEDIG
21
Eusebio Pacelli, capitano der Galeere San Pietro e Paolo auf der westlichen Route entlang der afrikanischen Mittelmeerküsten, war ein geschickter, erfolgreicher und vorsichtiger Handelskapitän. Seine bebenden Nasenflügel witterten wie die eines Hundes, und was immer in der Luft lag, Untiefen oder Sturm, Piraten, ein
Weitere Kostenlose Bücher