Purpur ist die Freiheit 02 - Die Perlen der Wueste
erneut über dem Land, und die Sonne brannte – schon bald war jede Erinnerung an die wunderbar belebende Kühle ausgelöscht.
Wie am Vortag ritt Sarah auch heute an Saïds Seite. Doch sie hielt die Augen gesenkt und hatte sich in ein ungewohntes Schweigen zurückgezogen.
» Insha’allah, wenn weiterhin alles gut geht«, überlegte Saïd laut, » treffen wir übermorgen in Bani Mellal ein und setzen die jüdische Familie ab. Ungefähr zwei Tage später können wir Lahsen in die Berge entlassen. Danach ist es nur noch eine Sache von Stunden, bis wir Oum Er’Rbiaa erreichen, wo wir ein paar Tage rasten wollen.« Eigentlich konnte er zufrieden sein. Dennoch fühlte er sich unruhig, sobald er daran dachte, dass sich ihre Wege schon bald trennen sollten. Konnte er Sarah überhaupt allein weiterziehen lassen? Bis zur Küste war es noch ein weiter Weg, wie sollte sie ohne Schutz zurechtkommen?
Sarah nickte. » Vorhin sagte Abdallah das Gleiche.« Es klang bedrückt.
» Ach ja? Nun, wenn Abdallah es sagt, wird es wohl stimmen.« Der Scherz misslang, Sarah lächelte nicht einmal. Etwas schien sie zu quälen. Ein ermutigender Gedanke würde sie ablenken. » Auch dein Ziel rückt von Tag zu Tag näher«, meinte er. » Bis zur Küste des Mittelmeers sind es noch etwa fünfzehn Karawanentage, je nachdem, wohin genau du willst.« Ob sie ihm jetzt endlich ihr eigentliches Ziel verraten würde?
» Und je nachdem, wer uns auf dem Weg dorthin wie oft überfällt! Osmanische Söldner hier, Pferdediebe und Straßenräuber dort und dazwischen womöglich auch noch ein paar Sklavenhändler.« Sarah schluchzte beinahe.
Saïd nickte. Das also beunruhigte sie? Sie übertrieb zwar, ganz unrecht aber hatte sie nicht. Eine lange und durchaus gefährliche Strecke lag vor ihr, zumal der Weg weitgehend durch das Gebiet von Sultan Ahmad von Féz führte. Erst in den Bergen der Kabylei endete dessen Einflussbereich, jedenfalls hatte das noch vor kurzem gegolten.
Er brütete schon seit längerem über ihrem Plan, an die Küste zu reisen, und überlegte, was man vorsorglich tun könnte. Warum nur, fragte er sich erneut, warum nur hatte sie sich nicht besser vorbereitet? Was steckte hinter ihrem seltsamen Aufbruch, der ihm zuerst wie eine Flucht, inzwischen allerdings immer mehr wie ein Weg in die Irre vorkam? Was war ihr Ziel, für das sie solche Gefahren auf sich nahm?
» Bitte«, unterbrach Sarah seine Überlegungen, » können wir anhalten?«
Sofort glitt Saïd von seinem mehari. Noch während die anderen Tiere zum Stehen kamen, brachte er Sarahs Kamel zum Niederknien und half ihr aus dem Sattel. Sie eilte ein Stück beiseite, und gleich darauf hörte er quälende Würgelaute.
Saïd trat zu seinem Kamel, löste die gerba vom Sattel, öffnete sie und hielt sie Sarah entgegen. Jeden Tag das Gleiche, dachte er, wenn er ihr doch nur helfen könnte.
Sarah spülte ihren Mund, dann trank sie gierig. Anstatt danach jedoch wieder ihr mehari zu besteigen, blieb sie neben dem Tier stehen. Geistesabwesend streichelte sie dessen Hals, dann blickte sie Saïd an. Sie hatte einen Entschluss gefasst.
» Ich muss etwas erklären.« flüsterte sie. » Lea hat es sofort erkannt: Ich bekomme ein Kind. Davon hatte ich keine Ahnung, sonst hätte ich nicht … Ach, ich glaube, ich ahnte es, wollte es aber nicht wissen.« Sie schwankte und musste sich am Sattelgurt festhalten.
Hatte er richtig gehört? Saïd schluckte. Er bemühte sich, seine Bestürzung zu verbergen. Schließlich sagte er mit mehr Gelassenheit, als er verspürte: » Ein Kind ist ein Geschenk. Weshalb solltest du es nicht glauben? Es wird nicht vom Himmel gefallen sein. Und wo ist dein Mann?«
Sarah presste die Lippen zusammen. Eine Falte stand über ihrer Nasenwurzel, die es gestern noch nicht gegeben hatte.
Äußerlich ruhig wartete Saïd. Sie war nicht frei, sie hatte einen Mann, dessen Kind sie trug. Wurde sie deshalb von ihrem Vater gesucht? Welche Lügen hatte sie ihm sonst noch aufgetischt? Andererseits, gelogen hatte sie ja wohl nicht, im Gegenteil, sie hatte nur kaum etwas von sich erzählt. Konnte er ihr das zum Vorwurf machen?
Sarah schwieg weiterhin und starrte mit gesenktem Blick auf ihre Füße. Sie war nicht fertig mit ihrer Erklärung. Anscheinend suchte sie nach Worten, doch dabei konnte er ihr nicht helfen.
Schließlich hob sie den Kopf und erklärte: » Der Vater meines Kindes, mein Bräutigam, ist ein venezianischer Edelmann. Er wurde in dringenden
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