Purpurdämmern (German Edition)
hatte gerade andere Sorgen.
July war es nicht gewohnt, einen Korb zu kriegen. Deshalb begriff sie auch nicht, dass er nichts von ihr wollte und bildete sich ein, sie wären zusammen. Nur, weil er ein paarmal mit ihr im Kino gewesen war, nicht rechtzeitig den Kopf weggezogen hatte, als sie versucht hatte, ihn zu küssen und sie hereingebeten hatte, als sie ihm nach Hause gefolgt war. Mom hatte sie ihm zuliebe ganz freundlich umsorgt, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie Moms Typ war. Genauso wenig wie seiner. Julys oberflächliches Gezwitscher ging ihm auf die Nerven. Ihn interessierte nicht die Bohne, dass sie sich anzog wie Paris Hilton. Und ihre fünf Schichten Lippenstift zu küssen, fand er unappetitlich. Wenn er ihr von seinen Büchern erzählte oder von Christoph Kolumbus, versuchte sie nicht mal, Interesse zu heucheln. Stattdessen unterbrach sie ihn und fragte ihn über Pat aus. Sie bildete sich ein, er und Pat würden zusammen Banken überfallen und sich Verfolgungsjagden mit den Cops liefern. Kein Wunder, dass Mrs Prescott ihn von ihrer Schule werfen wollte. Wenn sich alle solche Geschichten zusammenfantasierten wie July, repräsentierte er praktisch das organisierte Verbrechen.
»Komm, gib dir einen Ruck. Ich fahr dich auch nachher nach Hause.« Sie schürzte ihre glänzend lackierten Angelina-Jolie-Lippen zu einem Kussmund. »Es wird bestimmt toll.«
»Ich würde wirklich gern«, log er. »Aber meine Mutter bringt mich um, wenn ich nicht in einer halben Stunde zu Hause bin. Ich muss noch was für sie erledigen.«
»Spielverderber!«
Er erhaschte einen Blick an ihr vorbei auf Sean, der ihn ansah, als hätte er den Verstand verloren. Armer Sean, July hatte ihn vollkommen im Netz. Er fing bei ihrem Anblick das Sabbern an, und nahm es Ken übel, dass der seine Leidenschaft nicht teilte.
Schwach lächelte er ihr zu. »Nächstes Mal, okay?«
»Das sagst du immer«, schmollte sie. Ihre Hand glitt über seinen Arm, als er sich an ihr vorbei durch die Tür drängte.
Eilig fuhr er die Michigan Avenue hinunter und wurde erst langsamer, als der Laden außer Sichtweite war. Er bog in die Dalzelle Street, vorbei am roten Backsteinbau von Gallagher Security, auf dessen Rückseite ein Spaßvogel das Wort
JOY
gesprüht hatte,
Freude
. Das hier war die trostloseste Gegend, die man sich überhaupt vorstellen konnte. Die Straßenbeleuchtung funktionierte nicht, Sprünge durchzogen die Gehwegplatten, und aus den Rissen wucherte Gras. Die Gegend sah aus wie ein Friedhof frierender Skelette. Zwar bildeten sich schon Knospen an den Kastanienbäumen, doch es würde noch Wochen dauern, bis Blattwerk die verrottenden Planken und geborstenen Mauern verhüllte.
Der aufblitzende Strahl einer Taschenlampe hinter den Bäumen des Nachbargrundstücks erregte seine Aufmerksamkeit. Er ließ das Fahrrad ausrollen und stoppte. Der Lichtkegel flackerte durch das Geäst der Apfelbäume und verharrte auf einem Punkt am Boden.
Apfelbäume,
genau.
Bitte nicht.
Er stöhnte innerlich. Das letzte Mal lag Monate zurück und die Vorstellung, dass alles wieder von vorn losging, dass er Nacht für Nacht losziehen musste, um Mom einzufangen, brannte wie Säure in seinem Magen. Sie war nicht zurechnungsfähig, wenn sie in diesen Zustand abglitt.
Halb besorgt, halb angstvoll ließ er sein Fahrrad fallen und kämpfte sich durch hohes Gras und Brombeerranken bis zu den Bäumen am hinteren Ende des Gartens. Inständig wünschte er sich, nur ein paar Kinder aus der Nachbarschaft zu überraschen oder einen Landstreicher, der seinen Schlafsack zwischen den Mauerresten aufgeschlagen hatte.
Das Mondlicht schuf ein Netz aus gespenstischen Schatten. Im Gras raschelte es. Ein kleines Tier schoss davon. Ken stieß mit dem Fuß gegen eine abgebrochene Latte und hob sie auf. Nur für den Fall, dass der Landstreicher zu der gewalttätigen Sorte gehörte. Das Holz schmiegte sich kalt und modrig in seine Handfläche. Dichtes Buschwerk wucherte den Hügel hinauf. Der Lichtpunkt setzte sich wieder in Bewegung und tanzte in wildem Zickzack durch die Baumkronen.
Er machte absichtlich Lärm, während er durch Zweige und Ranken brach.
Und dort, auf der kleinen Lichtung zwischen den Bäumen, stand sie. Sein Inneres wurde ganz kalt.
Er sah, dass sie ihre Schuhe verloren hatte und in Nylonstrümpfen herumtappte. Sie trug ihren Kirchenstaat, einen hellbraunen Kostümrock und eine weiß-blau geblümte Bluse mit Rüschen auf der Knopfleiste. Das Haar, von viel
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