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Purpurdämmern (German Edition)

Purpurdämmern (German Edition)

Titel: Purpurdämmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Gunschera
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zarten, leicht muffigen Lavendelduft ein. Der Widerspruch aus Liebe und Hoffnungslosigkeit drohte ihn zu zerreißen. Mom musste hier raus. Sie musste weg von Dad, sie brauchte ein liebevolles Heim und einen Arzt, der sich um sie kümmerte.
    Was ihn zurückführte zu dem verdammten AP -Test. Wenn er aufs College ging, konnte er einen gut bezahlten Job finden. Er konnte Mom ein Haus kaufen, vielleicht im Norden an einem der Seen. Dort konnte sie ihren Garten pflegen und vom Küchenfenster aus übers Wasser blicken und bei schönem Wetter lange Uferspaziergänge machen. Er würde Apfelbäume pflanzen. Und dann, wenn Mom versorgt war, konnte er seinen Traum träumen, Entdecker zu werden. Archäologe in Ägypten oder Klimaforscher in der Antarktis oder ein Fotojournalist, der in Ecken der Welt vordrang, die kaum ein Mensch kannte. Ein schöner Traum.
    »Es ist nicht da«, flüsterte sie. »Es muss doch da sein, aber jetzt ist es verschwunden.« Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass sie schluchzte. Ihre Tränen sickerten warm in sein T-Shirt. Fahrig strich er ihr über den Rücken.
    »Schon gut, Mom.« Er fühlte sich schrecklich hilflos. »Schon gut. Lass uns nach Hause gehen.«
    Er brachte Mom zum Haus und kehrte zurück, um sein Fahrrad zu holen.
    Er hob es nicht sofort auf, sondern knipste zuerst Moms Taschenlampe an und leuchtete den Boden zwischen den Apfelbäumen ab. Es roch modrig unter den Stämmen, nach regenweicher Erde und längst verrotteten Abfällen und Laub vom letzten Jahr. Schließlich fand er zwei der Anhänger, die seine Mutter hatte fallen lassen. Sie sahen aus wie das Zeug, das man in Gothic-Läden kaufen konnte. Geschwärztes Silber, billig gestanzt, keltische Ornamente. Das eine zeigte eine geflügelte Drachenschlange auf einer Plakette, das andere ein Kreuz aus verschlungenen Seilen mit einem Kreis im Zentrum. Auf den Papieraufklebern auf der Rückseite stand: Made in China. Zwölf Dollar neunundneunzig.
    Unter dem Baum mit den tief hängenden Ästen entdeckte er Moms Haarspange mit dem abgeplatzten Regenbogenlack und den grünen Steinchen.
    Er stopfte Haarspange und Anhänger in seine Hosentasche, schaltete die Taschenlampe aus und schob das Fahrrad nach Hause.
    Pats Corvette parkte im Hinterhof, aber weder Pat noch Marty waren zu sehen. Gerade als er das Fahrrad im Schuppen abstellte, röhrte Motorenlärm auf. Mehrere Autos. Sie hielten vor dem Haus, und die Übelkeit in seinem Magen flammte wieder auf. Pats Freunde waren da. Die, die Trumbull’s Market zerlegt und den alten David verprügelt hatten und die auch Sean die Fresse polieren würden, wenn der sich nicht ruhig verhielt. Die, für die er heute Nacht Schmiere stehen musste, damit die Bullen sie nicht überraschten.
    Es fiel ihm schwer, sein Leben nicht zu hassen.
    Das Treffen fand in der Jefferson Avenue statt, einer schmalen Straße hinter rot geziegelten Industriebaracken, die nur eine Mauer von den Bahngleisen trennte. Büsche wucherten an den Telefonmasten empor. Eine trostlose Wüste aus Industriebrachen, Schrottplätzen und verfallenden Fabrikruinen, symptomatisch für die hässliche Fratze, die Detroit den Verlierern der Rezession zuwandte.
    Ken hockte auf dem Dach eines fünfstöckigen Lagerhauses, das es ihm erlaubte, nicht nur die Jefferson Avenue, sondern auch noch die umliegenden Blocks im Auge zu behalten. Er hatte sich die Kapuze des Sweatshirts wieder über den Kopf gezogen und die Lederjacke bis oben geschlossen. Trotzdem war es so kalt, dass er sich Handschuhe wünschte. Die Luft war feucht und roch nach Regen. Unten schnitten die Scheinwerfer der Autos durch stockfinstere Nacht.
    Von seinem Aussichtspunkt aus konnte er nicht viel erkennen. Ein paar Typen standen zwischen den Wagen und diskutierten. Er wusste nicht einmal genau, worum es ging. Drogen vielleicht. Ein Typ mit einer kleinen Reisetasche stieg aus einem blauen Ford Mustang und stellte sie auf die Motorhaube von Pats Corvette.
    Alles war ruhig. Normalerweise keine Gegend, in der die Cops oft patrouillierten, trotzdem schwitzten Ken die Hände. Sein Bauchgefühl lief Amok, aber das tat es schon, seit er bei Trumbull’s mit Sean geredet hatte. Und die Aktion mit seiner Mutter trug auch nicht dazu bei, seine Nerven zu beruhigen. Er spielte mit seinem Handy herum und unterdrückte das Bedürfnis, Pat anzurufen.
    Dabei war weit und breit kein Polizeiwagen zu sehen.
    Pat würde sich nur über ihn lustig machen. Oder ihm einheizen, weil er mit seinem

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