Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
von der Seite.
Arzu verstand die Welt nicht mehr. Diese Frau war wirklich auf Krawall aus.
Die Türkin glaubte, Quercher verteidigen zu müssen. »Also, ich finde alles an dir richtig und passend«, sagte sie schmunzelnd in Querchers Richtung.
»Oh, ich wusste nicht, dass die bayerische Polizei so viel Wert auf Paarbildung am Arbeitsplatz legt«, erwiderte Kürten, weiter auf ihre Mails starrend.
Quercher reagierte nicht und wechselte auf die mittlere Fahrbahn, übersah aber ein Auto, das ihn von hinten überholte und nach rechts zog. Er stieg in die Bremsen. Sofort rutschte der Wagen.
»Entschuldigung«, murmelte er, als er ihn wieder auf die rechte Spur brachte und im zweiten Gang weiterfuhr – erneut hinter dem Streufahrzeug.
»Das ist die A 8, diese Streckenführung hat Adolf Hitler persönlich geplant. Sonst wäre sie nämlich nicht über den Irschenberg und am Chiemsee entlang …«
Quercher räusperte sich. »Arzu, bitte.«
»Der Tegernsee ist unter den Münchner ›Hausseen‹ wie dem Starnberger See und dem Ammersee der kleinste, aber auch der schönste. Umgeben von prächtigen Waldbeständen, reicht er fast an die Grenze zu Österreich. Knapp sieben Kilometer lang und bis zu drei Kilometer breit liegt er in einem Tal und nimmt nicht nur jenen Besuchern, die ihn zum ersten Mal sehen, den Atem. So kitschig und so jedem Klischee- und Wunschbild eines Alpenpanoramas entsprechend, lässt er schnell die Idee von Gottes Land aufkommen. Wer hier wohnen darf, so meinen viele Besucher, habe einen Hauptgewinn gezogen«, las Arzu auf ihrem Smartphone von der Homepage des örtlichen Tourismusverbands ab.
»Aber meist hat man nur ein Erbe bekommen oder die Schraubenfabrik im hessischen Hinterland verhökert, um sich hier einzukaufen«, kommentierte Quercher bitter, als sie von Gmund, dem Ort am nördlichen Eingang des Tals, Richtung Bad Wiessee fuhren.
Der Kurort Wiessee lag am westlichen Ufer des Tegernsees. Eine Jod-Schwefel-Quelle ließ die noch Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts kleine Bauernschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Kurort besonderer Güte werden. Doch mit Gesundheitsreformen und Überalterung kam der Niedergang. Heute war es ein Ort mit leer stehenden Geschäften und alten Menschen, die in großzügigen Landhäusern auf ihren Tod warteten. Vom See war bei diesem Wetter nichts zu sehen. Der Schnee hatte sich einer Wand gleich vor das sonst so häufig fotografierte Panorama gelegt.
»Wir fahren erst zu den Kollegen in die Dienststelle. Ich kenne den Leiter. Und dann bringe ich Sie gerne zu Ihren Schönen Höfen «, sagte Quercher in Richtung Kürten.
»Und Sie fahren wieder nach München? Ich dachte, Sie bleiben mir die ganze Zeit über erhalten.«
Die Polizeidienststelle in Bad Wiessee, in Uringelb gestrichen, lag neben einem Supermarkt. Quercher parkte seinen Kombi auf dem davorliegenden Parkplatz, nuschelte »Ich muss was holen« und verschwand in dem Laden, während Arzu und Hannah auf ihn warteten. Quercher hatte den Motor laufen lassen. Die Scheibenwischer quietschten über die Frontscheibe.
»Haben Sie was miteinander?«, fragte Hannah Kürten in die Stille zwischen den Wischerintervallen.
»Finden Sie die Frage nicht ein wenig zu persönlich?«, erwiderte Arzu säuerlich vom Rücksitz. Ihr Bauch spannte. Es tat weh. Aber sie verzog keine Miene.
»Sie wirken wie ein altes Ehepaar.«
»Mein Bedarf an männlicher Nähe ist gedeckt«, stellte Arzu klar.
Jetzt drehte sich Hannah nach hinten und blickte verdutzt auf den Bauch, ehe sie ein »Na ja« murmelte.
Arzu hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen. »Sie sind nicht gern hier, nicht wahr?«
Hannah schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nicht wirklich. Deutschland ist sehr eng, nicht nur im geografischen Sinn.«
Die Wagentür wurde aufgerissen. Quercher stellte den Motor ab und und bat die Damen aus dem Auto. In der Hand hielt er eine Plastiktüte.
Sie stapften, den Kopf eingezogen, durch die Schneeböen zum Eingang des gelb gestrichenen Baus. Ein dicker Mann in grüner Uniform ließ sie durch die Sicherheitstür. Neben ihm stand auf einem Tisch ein Adventskranz mit drei brennenden Kerzen. Quercher begrüßte den Mann herzlich und hob die Tüte.
Der Dicke schmunzelte und wies auf eine Treppe. »Der Chef ist oben.«
Quercher griff in die Tüte, nahm ein Päckchen in Alufolie und warf es dem Dicken zu, als er die Treppe nach oben ging.
»Was ist das?«, fragte Hannah.
»Leberkässemmel. Das isst man hier. Affen
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