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Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht

Titel: Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Calsow
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schlussendlich nur noch mit Lumpi zu beschäftigen. Quercher hatte sich den Sermon angehört, während er hastig das von seiner Mutter zubereitete Abendbrot herunterschlang, und sich dann mit einem Verweis auf seine Erschöpfung mit einem Tegernseer Bier zurückgezogen. So lag er jetzt in dem viel zu kleinen Bett in seinem Kinderzimmer im Keller der elterlichen Wohnung in Bad Wiessee, studierte die Akten, die ihm Straßberger mitgegeben hatte, und dachte nach. Der Hund schlief auf einer Decke vor seinem Bett und schnarchte.
    Bis heute roch das Haus nach Leim, Leder und Schweißfüßen. Sein Vater war Schuster gewesen. Dazu kam der Geruch von Feuchte und Kellerschimmel. Das Haus der Eltern lag im Schatten der Berge, oberhalb des örtlichen Fußballplatzes. Daneben standen Gemeindehäuser für sozial schwache Familien, wie man das heute so nannte. Die Dorfbewohner fanden für diese Menschen meist hässlichere Begriffe. Im Winter kam die Sonne nur für drei Stunden am Morgen, dann wanderte sie hinter den Baumwipfeln in den Westen, ohne diesem feuchten Flecken Erde je Wärme und Licht zu schenken. Noch zu Querchers Kinderzeiten war hier ringsherum Moor gewesen. Zwei Bäche drängten das ganze Jahr den Berg hinunter, ließen die Wiesen und den Wald weiter unten morastig und feucht werden. Und jetzt im Winter lag hier noch mehr Schnee als an den sonnigen Stellen des Ortes.
    Seine Mutter litt an Parkinson. Es tat weh, sie zitternd und unsicher zu sehen, und er wünschte, er könnte fürsorglicher mit ihr umgehen. Aber sie war auch jene Frau, die ihn früher nachts geweckt hatte, nur um ihn zu verprügeln, nur um ihre Wut an ihm auszulassen. Die Wut, die manche bekamen, wenn sie mit einem zusammenlebten, der als Soldat aus dem Krieg wiedergekommen war und immer schwieg. Sein Vater gehörte eigentlich zur Großvatergeneration. Er hatte seine beiden Kinder erst spät gezeugt. Quercher glaubte, dass der Vater all dem Wahnsinn des Todes, den er miterlebt haben musste, etwas Leben entgegensetzen wollte. Nie hätte Max gewagt, dem hageren Mann mit den vielen Narben an Körper und Geist nach seinen Erlebnissen zu fragen. Aber oft hatte er die Schreie aus dem Schlafzimmer gehört. Wenn der Vater träumte und die Mutter ihn nicht bändigen, nicht herausreißen konnte aus seinem Krieg. Vor drei Jahren war es so schlimm geworden, dass seine Mutter ausgezogen war. Zu einer Freundin, wie sie offiziell sagte. Zu einem Witwer, wie man tuschelte. Sein Vater war einen Tag später mit einem Fischerkahn hinaus auf den See gefahren. Man mutmaßte, er habe einen Betonsockel, den er einst für einen Sonnenschirm selbst gegossen hatte, an seine Füße gebunden und das Boot zum Kentern gebracht. Sie fanden ihn nie.
    Querchers Telefon brummte und signalisierte den Eingang einer SMS. Er las sie und war erstaunt. Die SMS war von Elli, seiner ersten Liebe. Elke hatten ihre Eltern sie genannt. Ein Name, der für die Region mehr als ungewöhnlich war und der den ein oder anderen zu blöden Sprüchen verleitete. Sie waren am Gymnasium drüben in Tegernsee ein Paar gewesen. Er hatte sie geliebt.
    Habe dich im Supermarkt gesehen. Freue mich, dass du hier bist. Lust auf Kaffee?
    Quercher atmete tief durch. Er hatte sich lange nicht mehr gemeldet, seitdem er sie vor zwei Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Auf einem der berüchtigten Waldfeste. Sie hatten ihre Nummern ausgetauscht. Aber dann war ihr Mann dazugestoßen. Ein Volldepp, wie Quercher fand. Er hatte Elli versprochen, sie anzurufen, war dann aber Hals über Kopf aus dem Tal verschwunden. Es war wieder zu viel Heimat gewesen. Er löschte die SMS und sog die muffige Luft des Zimmers tief ein.
    Seit seiner Rückkehr aus Düsseldorf hatte er für Pollinger immer ›besondere Aufgaben‹ übernommen. Zu etwas anderem war Quercher auch nicht in der Lage. Das große Talent, das einst von der bayerischen Polizei nach Westdeutschland ging, um die ganz großen Fälle zu lösen, musste zurückkehren. Er hatte sich bei seinem letzten Fall mit zu vielen Menschen angelegt. Aber eines hatte er während dieser Zeit gelernt: Ihm gab man keine leichten Aufgaben. Auch Pollinger nicht. Und in diesem Fall, fand Quercher, waren alle etwas zu sehr in Eile.
    »Knochen einpacken. Das war’s«, murmelte er leise vor sich hin.
    Das klang seltsam. Wenn es kein natürlicher Tod gewesen war, und das konnte man so schnell nun auch wieder nicht feststellen, dann hätten zwangsläufig weitere Ermittlungen eingeleitet werden

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