Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
das Eis gedrückt.
Quercher sah seine Wut. Er ging noch näher zu Schlickenrieder. Ihre Nasenspitzen berührten sich fast. »Wenn das mal mit eurem Projekt klappt. Nicht, dass du weiter auf zugigen Baustellen herumturnen und der Unternehmersgattin das Kabelrohr verlegen musst. Bist ja auch nicht mehr der Jüngste.«
»Quercher, pass auf. Du bist nicht unantastbar. Es ist alles sauber mit den Grundstücksverkäufen. Und das wirst du auch nicht mehr ändern können. Nicht wegen der Leiche da oben. Na ja, jetzt ist sie ja verbrannt.«
Quercher hörte Hannahs Lachen und spürte, dass er ein gefährliches Spiel spielte. Er klopfte nur auf den Busch. Aber gespickt mit Halbwissen und Andeutungen konnte er, so sagte ihm seine Erfahrung, bei Männern wie Schlickenrieder, denen der Jähzorn ins Gesicht geschrieben stand, punkten. Er hatte bereits erfahren, dass die Wachsleiche mit den Grundstücken in Verbindung zu bringen war. Aber bei Stangassinger und Brunner würde das nicht so einfach laufen. Diese Runde ging an ihn. Die nächste würde schwieriger werden. Er ließ Schlickenrieder stehen und ging hinüber zu den anderen.
»Lasst mich auch noch einmal spielen.«
Er griff sich einen Stock und schoss ihn wenige Zentimeter rechts neben die Daube, was Stangassinger ein anerkennendes Pfeifen wert war.
»Wie dein Vater.« Schlickenrieder ging hinter Quercher vorbei und zischte noch gehässig: »Jetzt übt er unter Wasser, der alte Quercher.«
Während Hannah mit Quercher und Brunner spielte, redete Schlickenrieder auf den Bürgermeister ein. Quercher sah es aus den Augenwinkeln.
»Max, kommst mit?«, rief der Bürgermeister. »Ich gehe schnell rüber ins Hotel Friedrich und hole uns eine Terrine mit Weißwürscht. Hilfst mir? Der Schlickenrieder mag doch auch mal gegen Frauen verlieren.«
Quercher hielt Schlickenrieder seinen Eisstock hin. Der griff danach, doch ehe er den Stock in der Hand hatte, ließ Quercher ihn fallen. »Entschuldige, plötzlicher Stromabfall«, murmelte er und folgte Stangassinger.
Sie schlitterten über das Eis und stellten die leere Thermoskanne auf dem Tresen des Platzwarthäuschens ab. Stangassinger rief von dem alten Festnetztelefon im gegenüberliegenden Hotel an, bestellte die Würstchen mit Brezen und fünf Weißbier.
»Setz dich. Das wird uns hierher gebracht. Siehst du die zwei Häuser da?« Stangassinger zeigte auf eine Ansammlung von Gebäuden neben der Eisfläche.
Quercher nickte. Er wußte, was jetzt kommen würde.
»Das sind typische Pensionen von Einheimischen, stammen alle aus der Zeit nach dem Krieg. Früher waren die im Sommer voll mit Stammgästen. Nie Ausfall. Immer sicheres Geld. Im Winter kamen auch noch ein paar Touristen. Das reichte für das ganze Jahr. Aber dann haben unsere Nachbarn in Tirol aufgerüstet, sich professionalisiert. Hier schlief man, war fett und gönnte dem Nachbarort nicht den Dreck unter den Fingernägeln. Seit Jahren haben wir massive Rückgänge im Tourismussektor. Der Kurort ist veraltet, man fährt durch nach Österreich. Vielleicht kommen noch ein paar Tagesgäste, aber die goldene Zeit ist vorbei. Niemand will das wahrhaben. Es reicht für die meisten noch für die Rente. Die Kinder ziehen weg. Die Alten bleiben. Seit fünf Jahren wollen wir das ändern. Aber nichts geschieht. Geld wurde für sinnlose Studien von Experten aus dem Norden ausgegeben. Und während andere Regionen wie Kitzbühel oder Sylt das Geld säckeweise nach Hause tragen, ist mein Gemeindehaushalt knallrot. Wenn die Entwicklung so weitergehen würde, wären wir in vier Jahren pleite, müssten aber vorher noch unser Tafelsilber, die gemeindeeigenen Grundstücke, verscherbeln.«
Quercher kannte die Leier. Das hatte er von seiner Schwester bei jedem der seltenen Telefonate gehört. Ignoranz, Faulheit und Neid – immer die gleichen Attribute, die Veränderungen behinderten.
»Und jetzt«, fuhr Stangassinger fort, »kommt unser Projekt Sol . Es ist richtig groß gedacht. Der Ort wird zu einem modernen Reha- und Wellnesszentrum im oberen Preissegment ausgebaut. Keine Pensionen mit der Dusche auf dem Flur. Dafür Rekonvaleszenz für die Best Ager und die Babyboomer mit ihren Verschleißerkrankungen und dem besonderen Anspruch. Die wollen Loungemusik statt Kurkonzert, Qi Gong statt Kneippwechselbäder. Dieser Plan hat ein Gesamtvolumen von über hundert Millionen Euro.«
Quercher war erstaunt, wie leicht dem Bürgermeister all diese Phrasen und Satzblasen aus dem Mund
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