Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Totenkopfverbände der SS haben sich im Krieg ihre Blutgruppe eintätowieren lassen. Das geschah, damit sie bei einer Transfusion die richtige Blutgruppe erhielten. Nach dem Krieg versuchten viele dieser SS-Mitglieder, die Tätowierung zu entfernen. Einige schossen sich in den Arm. Andere kratzten die Tätowierung weg. Der hier schien das nicht nötig zu haben.«
»Dann war Hannahs Großvater bei der SS. Schau an«, murmelte Quercher.
»Ich habe auf eine Öffnung des Körpers verzichtet. Mögliche Vergiftungen, Einnahmen von Medikamenten et cetera lassen sich nur mit Laboruntersuchungen durchführen. Das überschreitet meine Möglichkeiten.«
Trotz der Kälte hier unten begann Quercher zu schwitzen. »Was kannst du noch sagen?«
Appel runzelte die Stirn, ehe er fortfuhr. »Nun, der Gesamtzustand des Toten war zum Zeitpunkt des Todes gut. Um es in deiner Sprache zu formulieren: Er stand gut im Futter.«
»Also ist unser Mann hier nicht an Unterernährung als Folge des Krieges gestorben, sondern den friedlichen Tod eines Wohlstandsbürgers der Nachkriegszeit.«
Appel nickte. »Wahrscheinlich. Das können aber nur die Rechtsmedizin bei Öffnung des Körpers sowie großflächiger Laboruntersuchungen feststellen. Du musst den Körper hier wegschaffen. Am besten wieder auf Eis legen.«
Quercher sah ihn bittend an. »Nur noch ein paar Tage, bitte.«
Appel tippte an seinen Kopf. »Lass den Quatsch.«
Dann hatte Quercher eine Idee. »Hilf mir wenigstens beim Tragen.«
Nur wenige Menschen waren auf den verschneiten, glatten Straßen unterwegs. So sah keiner, wie der örtliche Arzt und ein leitender Beamter des Landeskriminalamtes einen großen Sack in einen Mercedes und anschließend in den Keller des allseits bekannten Schützenstüberl wuchteten.
Kapitel 23
Bad Wiessee, Mittwoch, 20. 12., 10.09 Uhr
Quercher stieß die Tür zur Polizeiinspektion auf, zeigte dem wachhabenden Polizisten hinter der Glassscheibe im Eingangsbereich seinen Ausweis und trat ins Treppenhaus. Er eilte in das Büro von Straßberger. Der saß mit zwei Kollegen des Kriminaldauerdienstes an einem ovalen Tisch. Alle sahen ihn fragend an.
»Grüß Gott, Kollegen. Ich wollte nur kurz fragen, wie weit ihr mit dem Birmoser-Fall seid. Ich könnte mir vorstellen, dass …«
»Max, bitte. Ehe du jetzt aufdrehst, hör dir einmal an, was die ersten Ergebnisse aus der Rechtsmedizin ergeben haben.« Straßberger sah ihn ärgerlich und auf eine unbestimmte Weise nervös an.
Ein junger Kollege fasste die Ergebnisse zusammen. »Die Mediziner haben einen hohen Wert an THC im Blut des Verstorbenen gefunden. Sie gehen davon aus, dass er unter erheblichem Marihuanaeinfluss nicht rechtzeitig reagieren konnte, von der Säge erfasst wurde und so verstarb. Eine Fremdeinwirkung ließ sich unter anderem auch aufgrund der schweren Kopfverletzungen nicht feststellen. Der Staatsanwalt hat die Leiche schon wieder freigegeben. Der Mann von der Berufsgenossenschaft bestätigt die Vermutung. Für uns ist der Fall abgeschlossen.«
Quercher schüttelte unmerklich den Kopf.
Das war alles zu einfach. Aber er konnte unmöglich seine weichen Thesen ausbreiten. Ein Hund, der möglicherweise gequält und bewegungslos gemacht wurde. Eine Holzarbeit, für die die Kreissäge nicht benötigt wurde. Bislang war alles nur Spekulation, alles war auf Vermutungen aufgebaut. Er hatte nichts in der Hand. Ihm blieb jetzt nur noch eins: Er musste seine Verdächtigen, die Hintermänner, aus der Reserve locken, sie Fehler machen lassen. Den Birmoser-Fall konne er nur auf Umwegen lösen. Er musste von hinten anfangen, um nach vorn zu dem toten Schreiner zu gelangen. Das glich einem Ritt über den Bodensee. Aber es war seine einzige Chance.
Quercher nickte und verabschiedete sich von den drei Männern.
Wenig später stand er mit Hannah neben einer Eisfläche und hielt zwei Eisstöcke in der Hand, die er aus dem Keller seiner Mutter geholt, entstaubt und poliert hatte. Sie gehörten seinem Vater, der in Querchers Kindheit viele Stunden auf dem Eisplatz verbracht hatte. Im Winter war das Eisstockschießen die einzige Sportart, die von so ziemlich allen Männern und auch einigen Frauen im Ort mit Fanatismus und Ehrgeiz betrieben wurde. Nur eine Sorte Mensch war nie gerne gesehen: Preußen. Was wiederum für die Einheimischen alle Menschen nördlich der Autobahn München–Salzburg umfasste. Quercher hatte lange nicht mehr gespielt. Ihn hatte schon früher das dumme Gequatsche der Alten
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