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Quitt

Quitt

Titel: Quitt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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Ihr wenigstens eines davon haben, dasselbe, was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit. Ihr steht dann von Stund an über dieser armen Komödie, die Welt und Leben heißt.«
    Lehnert starrte ihn an.
    L'Hermite aber, dessen Bewegungen immer nervöser wurden, fuhr fort: »Gebt Ruth auf. Ihr kriegt sie nicht. Und wenn morgen die Hochzeit sein soll und die gute Frau Kaulbars so viel Kringel und Krausgebackenes bäckt, daß der Fettgeruch bis zu Krähbiel und den Arapahos hinüberzieht und unserem Freunde Gunpowder-Face, der dergleichen liebte, noch in seinem Grab umkitzelt – ich sag Euch, Lehnert, Ihr kriegt sie doch nicht, Ihr fallt tot vorm Altar nieder. Und wenn nicht Ihr, so Ruth. Glaubt mir, es soll nicht sein. Es ist da so was Merkwürdiges in der Weltordnung, und Leute wie wir – Pardon, ich sage mit Vorbedacht wie wir –, die nimmt das Schicksal, der große Jaggernaut, unter die Räder seines Wagens und zermalmt sie, wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen.«
     
Dreiunddreißigstes Kapitel
     
    Lehnert, als er nach diesen Worten in sein Zimmer zurückkehrte, war wie vom Blitz getroffen, doppelt, weil er sich, wenn auch mit Widerstreben, gestand, aus dem Munde L'Hermites nur das gehört zu haben, was ihm eine innere Stimme selber schon zugerufen hatte. Was unheimlich seinen Freund umschlich, umschlich auch ihn, immer wieder war es da. Warum war er so miterschüttert gewesen, als der mit dem Kreuz auf der Brust in jener Sommernacht bei L'Hermite ins Fenster gesehen, und warum lag da wer am Weg, als er, am Tage danach, von Fort O'Brien aus zum ersten Mal ins Gebirge hinaufritt? Sinnestäuschung? Nein. Gewissen. Es half nicht Reue, nicht Beichte; was geschehen war, war geschehen, und im selben Augenblicke, wo nur noch ein Schritt, ein einziger, ihn von seinem Glücke zu trennen schien, sah er, daß dieser Schritt ein Abgrund war.
    Er konnte keine Ruhe finden und zermarterte sein Gehirn mit dem, was kommen müsse. So verging ihm die Nacht, und erst gegen Morgen schlief er ein.
    Nicht lang. Aber so kurz der Schlaf gewesen war, doch war es, als wären ihm Kraft und Mut zu gutem Teile zurückgekehrt, und als er das Fenster aufstieß und Frühlingsluft und Morgensonne hereindrangen, lösten sich die Vorstellungen, die sich während der Nacht, als wären es Gespenster, seiner Seele bemächtigt hatten, wie die Nebel auf, die drüben am Gebirge hinzogen. Eine Schuld lag auf ihm; aber hieß es nicht in dem Gebet, das Christus selbst uns gelehrt, »und vergib uns unsere Schuld«? Und wenn Christus so gelehrt und geboten hatte, so mußte doch auch eine Möglichkeit der Erhörung sein und bei rechter Demut und Zerknirschung auch wohl eine Gewißheit. So sann er weiter, und als er sich's zurechtgelegt und bei der Morgenandacht das Auge des Alten so fest und freundlich wie nur je zuvor auf sich ruhen gefühlt hatte, war alles, womit L'Hermite ihn – und was schwerer war, er sich selber – geängstigt hatte, besiegt und verschwunden.
    L'Hermite, der wohl sah, was in der Seele seines Freundes vorging, vermied es, auf seine düstere Prophezeiung zurückzukommen, ja schlug umgekehrt einen halb heiteren Ton an, der darauf aus war, die Wirkung seiner Worte wieder abzuschwächen. Ob die Welt eine Welt der Wunder sei, das müsse schließlich dahingestellt bleiben, aber daß die Welt eine Welt der Überraschungen sei, das sei nur zu gewiß. Mit aller Berechnung sei nicht viel getan. Es gäbe Regeln, freilich, aber der Ausnahmen seien so viele, daß es sich, ganz wie beim Unterricht im Englischen (und er spreche da aus eigner trauriger Erfahrung), eigentlich nicht recht verlohne, die Regeln zu lernen. Und was nun speziell die guten Schicksalsgöttinnen anginge, so hätten sie Launen wie alle Weiber, und die alten erst recht.
    Und dabei bot er Lehnert eine Zigarette.
    Der wußte wohl, daß das alles nur so hingesprochen war, um ihn zu beruhigen, aber sosehr er dies durchschaute, so trug es trotzdem nicht wenig dazu bei, seine Hoffnungen neu zu beleben.
    Auch Obadjas wachsend freundliche Gesinnung gab ihm viel von seiner alten Freudigkeit und Frische zurück, was aber dies Gefühl der Frische vielleicht am meisten belebte, das war, daß sich Tobys in letzter Zeit eine wahre Jagdpassion bemächtigt hatte, zu deren Befriedigung, wie sich denken läßt, niemand geeigneter erschien als Lehnert, der die Tugenden eines guten Schützen mit denen eines erfahrenen Bergsteigers in sich vereinigte. Dies letztere war die

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