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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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mitgebracht, würde er mich erschlagen haben“, sagte Vinicius.
    „Gesegnet sei der Augenblick, wo ich dir riet, ein Messer mitzunehmen.“
    Vinicius warf einen forschenden Blick auf den Griechen und fragte:
    „Was hast du inzwischen getan?“
    „Wie! Was! Habe ich dir nicht gesagt, Herr, daß ich ein Gelübde für deine Gesundheit tun würde?“
    „Weiter nichts?“
    „Ich hatte eben vor, dich zu besuchen, als der gute Mann kam und mich zu dir rief.“
    „Hier ist eine beschriebene Brieftafel. Du wirst nach meinem Hause gehen und sie dem Freigelassenen, den du dort findest, übergeben. Ich schrieb, daß ich nach Benevent verreist sei. Du sagst dem Demas – nicht auf meinen Befehl hin, verstehst du? –, daß ein dringender Brief von Petronius mich diesen Morgen schon dorthin bestellt habe.“ Hier wiederholte er mit Nachdruck: „Ich bin nach Benevent verreist, nicht wahr?“
    „Du bist verreist, Herr. Diesen Morgen nahm ich an der Porta Capena von dir Abschied, und seit deiner Abreise bemächtigte sich meiner solcher Trübsinn, daß, wenn deine Großmut sich nicht erweichen läßt, ich mich tot weine, wie die unglückliche Gemahlin des Zethos aus Kummer um ihren Itylos.“
    Obwohl Vinicius krank und an des Griechen Willfährigkeit gewöhnt war, konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken. Er war außerdem froh, daß Chilon ihn so rasch verstand. Er sagte:
    „Ich will auch schreiben, deine Tränen seien getrocknet. Bring mir Licht!“
    Chilon, vollkommen befriedigt, erhob sich, ging einige Schritte vorwärts nach dem Kamin und nahm eine Kerze von der Wand. Dabei glitt ihm die Kapuze vom Kopfe, und der Lichtschein fiel unmittelbar auf sein Gesicht. Glaukos sprang von seinem Sitz auf und stand im nächsten Augenblick vor ihm.
    „Kennst du mich, Kephas?“ fragte er.
    In seiner Stimme lag etwas so Schreckliches, daß es alle Anwesenden durchschauerte. Chilon erhob die Kerze, um sie sogleich wieder fallen zu lassen; dann beugte er sich fast bis zur Erde nieder und stöhnte:
    „Ich bin’s nicht, ich bin’s nicht! Barmherzigkeit!“
    Glaukos wandte sich zu den Gläubigen und sagte:
    „Er ist der Mann, der mich betrog, der mich und meine Familie ins Unglück stürzte.“
    Jene Geschichte war allen Christen bekannt; auch Vinicius kannte sie. Er ahnte jedoch nicht, wer dieser Glaukos war, da er während des Verbindens seiner Wunde wiederholt ohnmächtig geworden war und deshalb den Namen nicht gehört hatte. Aber für Ursus waren die Worte des Glaukos ein Blitzstrahl in der Finsternis. Sofort erkannte er Chilon und war mit einem Sprunge an seiner Seite; er ergriff seinen Arm, bog ihn zurück und rief:
    „Er ist der Mann, der mich überreden wollte, Glaukos zu töten!“
    „Barmherzigkeit!“ stöhnte Chilon. „Ich gebe dir … O Herr!“ schrie er, an Vinicius sich wendend, „rette mich! Ich baue auf dich, hilf mir! Dein Brief – ich werde ihn übergeben. O Herr, Herr!“
    Doch Vinicius sah dem Vorgang mit der größten Gleichgültigkeit zu; denn erstens kannte er den Griechen, und zweitens wußte sein Herz nichts von Mitleid.
    „Begrabt ihn im Garten“, sagte er, „den Brief mag ein anderer besorgen!“
    Chilon glaubte, in diesen Worten sein Todesurteil besiegelt zu sehen. Seine Gebeine zitterten unter den gewaltigen Händen des Ursus; er weinte vor Angst.
    „Bei eurem Gott, habt Mitleid!“ schrie er. „Ich bin ein Christ! Pax vobiscum! Ich bin ein Christ; wenn ihr mir nicht glaubt, so tauft mich zweimal, zehnmal! Glaukos, es ist ein Mißverständnis. Laß mich sprechen, mach mich zu deinem Sklaven! Töte mich nicht! Hab Erbarmen!“
    Seine von der Angst erstickte Stimme wurde immer schwächer. Da erhob sich der Apostel vom Tische; sein weißes, auf die Brust gesunkenes Haupt zitterte, seine Augen waren geschlossen, jetzt aber schlug er sie auf und sprach, während um ihn tiefes Schweigen herrschte:
    „Der Erlöser hat zu uns gesagt: Wenn dein Bruder gegen dich gesündigt hat, ermahne ihn; ist er aber reuig, so vergib ihm! Und wenn er dich siebenmal des Tages beleidigt und sich siebenmal zu dir gewendet und gesagt hat: ‚Habe Erbarmen mit mir!‘, so vergib ihm!“
    Tiefe Stille trat ein. Glaukos verharrte lange Zeit unbeweglich, die Hände vor dem Gesicht; endlich entfernte er sie und sagte:
    „Kephas, möge Gott dir vergeben, wie ich es tue im Namen Christi.“
    Ursus gab sofort die Arme des Griechen frei und fügte hinzu:
    „Möge der Erlöser dir barmherzig sein, ich vergebe dir!“
    Chilon

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