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Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
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Turmspitze, eine Laute in der Hand, von Licht umflossen, gleich den Priesterinnen, die nachts dem Monde zu Ehren Hymnen singen, wie er sie im Morgenlande gesehen hatte. Er kletterte mit großer Mühe die gewundene Treppe empor, um Lygia fortzutragen. Hinter ihm kletterte Chilon, zähneklappernd vor Angst und beständig rufend: „Laß ab, Herr, sie ist eine Priesterin, er wird Rache nehmen.“ Vinicius wußte nicht, wer dieser „Er“ sei; er fühlte jedoch, daß er einen Gottesraub begehen wollte, und empfand furchtbare Angst. Und als er die Balustrade erreichte, die um die Turmspitze lief, stand auf einmal der Apostel mit dem Silberbarte an Lygias Seite und rief: „Erhebe deine Hand nicht, sie gehört zu mir.“ Dann führte der Apostel Lygia hinweg auf einem Pfade, den Mondstrahlen bildeten und der in den Himmel zu verlaufen schien. Vinicius aber streckte die Arme nach ihnen aus und bat, ihn mitzunehmen.
    Hier erwachte er und blickte um sich. Die Lampe brannte trübe, warf aber genügend Licht auf die Gegenstände. Die Christen saßen am Feuer und wärmten sich, denn die Nacht war frostig und das Zimmer kalt. Vinicius sah den Atem dampfend aus ihrem Munde dringen. In der Mitte saß der Apostel; vor seinen Knien befand sich Lygia; sie saß auf einem Schemel. Um sie herum waren Glaukos, Crispus und Miriam. Zuäußerst saß auf der einen Seite Ursus, auf der anderen Miriams Sohn, Nazarius, ein hübscher Knabe mit dunklem, langem, über die Schultern herabfallendem Haar.
    Lygias Blicke hingen an den Lippen des Apostels: Alle hatten das Antlitz ihm zugewandt, während er leisen Tones etwas erzählte. Vinicius betrachtete Petrus mit beinahe abergläubischer Scheu, die nicht viel geringer war als seine Furcht vor ihm während des Traumes. Der Gedanke kam ihm, jener Traum könnte sich erfüllen, dieser silberhaarige Mann, der vor kurzem von fernen Ländern hierhergekommen war, würde ihm Lygia wirklich entreißen und sie auf unbekannten Pfaden entführen. Er war überzeugt, der Greis spreche von ihm, erkläre vielleicht eben, wie er Lygia von ihm trennen wolle. Es schien ihm unmöglich, daß jemand von etwas anderem reden könne. Er sammelte seine ganze Kraft, um zuzuhören.
    Jedoch er irrte sich, der Apostel sprach von Christus.
    „Sie leben nur in diesem Namen“, dachte Vinicius.
    Der Alte schilderte die Gefangennahme des Erlösers.
    „Es kam eine Rotte mit Dienern des Hohenpriesters, um ihn zu fangen. Auf die Frage des Heilandes: ‚Wen sucht ihr?‘ antworteten sie: Jesus von Nazareth.‘ Doch als er zu ihnen sprach: ‚Ich bin Jesus von Nazareth‘, fielen sie zu Boden und wagten nicht, Hand an ihn zu legen. Erst als er sie zum zweitenmal gefragt hatte, nahmen sie ihn gefangen.“
    Hier hielt der Apostel inne, streckte die Hand aus gegen das Feuer und fuhr fort:
    „Die Nacht war kalt, gleich dieser, dennoch kochte mein Blut. Ich zog ein Schwert, um ihn zu schützen, und hieb einem Diener des Hohenpriesters ein Ohr ab. Ich würde den Meister bis aufs Blut verteidigt haben. Er aber sprach: ‚Stecke dein Schwert in die Scheide. Soll ich den Kelch nicht trinken, den mein Vater mir gereicht hat?‘ Darauf ergriffen und banden sie ihn.“
    Als Petrus bis hierher berichtet hatte, legte er die Hand vor die Augen und schwieg, wie um dem Ansturm seiner Erinnerungen Halt zu gebieten. Ursus jedoch konnte sich nicht beherrschen. Er sprang auf und schürte das Feuer, bis die Funken wie ein Goldregen stoben und die Flamme hoch aufschoß; dann setzte er sich wieder und sagte:
    „Sei es, wie es wolle, ich …“
    Er sprach nicht weiter, denn Lygia hatte den Finger vor den Mund gelegt. Sein keuchender Atem verriet den Sturm, der in ihm tobte. Er war jederzeit bereit, die Füße des Apostels zu küssen; aber das Verhalten der Jünger beim Angriff auf den Erlöser konnte er nicht ertragen. Hätte einer in seiner Gegenwart die Hand gegen den Heiland erhoben, wäre er in jener Nacht mit dabeigewesen, ha! – von den Söldnern und den Dienern des Hohenpriesters wäre nicht viel übriggeblieben. Tränen traten Ursus in die Augen. Sein innerer Kampf war schwer. Einerseits würde er den Erlöser verteidigt und seine lygischen Landsleute zu Hilfe gerufen haben. Andererseits wäre er dadurch gegen den Heiland ungehorsam geworden und hätte die Erlösung der Menschheit verhindert. Das war es, was ihm Tränen in die Augen trieb.
    Nach einer Weile ließ Petrus die Hand von den Augen sinken und vollendete die Erzählung. Vinicius war in

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