Quo Vadis
diesem armen Gemach, das Culina und Triclinium zugleich war, fühlte ich mich glücklicher als je zuvor. Nein, ich war ihr nicht gleichgültig – selbst heute noch kann ich es nicht glauben. Und doch verließ Lygia meinetwegen Miriams Haus. Ich sitze jetzt ganze Tage da, den Kopf in der Hand, und denke: ‚Warum tat sie das?‘ Habe ich Dir geschrieben, daß ich ihr anbot, sie Aulus wieder zuzuführen? Sie erklärte dies für einstweilen unmöglich, weil Aulus und Pomponia nach Sizilien gereist seien und auch die Nachricht von ihrer Rückkehr ins Haus des Aulus durch die Sklaven von Haus zu Haus getragen und zuletzt den Palatin erreichen würde, was nur ihre abermalige Entfernung von Aulus zur Folge haben müßte. Sie weiß, daß ich sie nicht länger mehr verfolge, daß ich den Weg des Ungestüms verlassen habe, daß ich unfähig bin, ohne sie zu leben, und daß ich sie durch ein bekränztes Tor in mein Haus bringen und an eine geheiligte Stelle meines Herdes setzen will. Und doch ist sie geflohen! Warum? Nichts bedrohte sie. Hätte sie mich nicht geliebt, müßte ich ihr Verhalten als eine Zurückweisung betrachten. Den Tag vor ihrer Flucht lernte ich einen wunderbaren Mann kennen, einen gewissen Paulus von Tarsus; er sprach mit mir von Christus und seiner Lehre, und jedes seiner Worte hatte eine Kraft, die die Grundlagen unserer gesellschaftlichen Ordnung erschüttern müßte. Derselbe Mann besuchte mich den Tag nach Lygias Flucht und sagte: ‚Wenn Gott deine Augen dem Lichte öffnet und den Balken daraus nimmt wie aus den meinigen, dann wirst du erkennen, daß Lygia recht gehandelt hat, und wirst sie vielleicht auch finden.‘ Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf über diese Worte, als ob ich sie aus dem Munde der Pythia zu Delphi gehört hätte. Ich glaube etwas zu verstehen: Obgleich die Christen die Menschen lieben, sind sie doch Feinde unseres Wandels, unserer Verbrechen, unserer Götter; darum floh Lygia vor mir, einem Manne, der unserer Gesellschaft angehört und mit dem sie nicht ein von den Christen für frevelhaft gehaltenes Leben teilen wollte. Du wirst sagen, daß sie, um mich abzuweisen, sich nicht zurückzuziehen brauchte. Aber wenn sie mich liebte? Dann floh sie wegen ihrer Liebe. Wenn ich daran denke, möchte ich Sklaven aussenden in alle Gäßchen Roms und sie überall rufen lassen: ‚Lygia, kehre zurück!‘ Ich begreife nicht, warum sie floh. Ich hätte sie nicht daran gehindert, an ihren Christus zu glauben, hätte ihm im Atrium einen Altar errichtet. Was könnte mir dieser eine Gott für Leid zufügen? Warum mag ich nicht an ihn glauben – ich, der ich keineswegs mit zu großem Vertrauen den alten Göttern zugetan bin? Die Christen lügen nicht, das weiß ich gewiß, und sie sagen: Christus ist von den Toten auferstanden. Ein Mensch kann nicht von den Toten auferstehen. Jener Paulus von Tarsus, ein römischer Bürger, aber als Jude mit den althebräischen Schriften bekannt, sagte mir, daß Christi Ankunft schon vor Jahrhunderten durch die Propheten versprochen war. All das ist ungewöhnlich; doch treffen wir nicht nach allen Richtungen hin Ungewöhnliches? Man spricht auch viel von Apollonius von Tyana. Des Paulus Behauptung, es gäbe nur einen Gott und nicht eine ganze Gesellschaft Götter, scheint mir gesund. Vielleicht ist Seneca auch dieser Meinung, und viele andere waren es vor ihm. Christus lebte, gab sich selber zur Kreuzigung hin für die Erlösung der Welt und erstand von den Toten. Dies alles ist gewiß. Ich sehe darum keinen Grund, warum ich bei einer entgegengesetzten Meinung verharren oder Christus keinen Altar errichten sollte, da ich doch bereit bin, dasselbe etwa für den Serapis zu tun. Es hätte auch keine Schwierigkeiten für mich, anderen Göttern zu entsagen; denn kein urteilsfähiger Mensch glaubt noch an sie. Mir scheint jedoch, dies alles ist zum Christen noch nicht genug. Es ist nicht genug, Christus zu ehren, man muß auch seiner Lehre gemäß leben; und damit stehe ich an dem Ufer eines Meeres, das ich nach dieser Lehre durchschwimmen müßte.
Gesetzt den Fall, ich leiste das Gelübde als Christ, so würden die Christen doch fühlen, daß es nur ein leerer Schall sei. Paulus sagte dies mir auch offen. Du weißt, wie sehr ich Lygia liebe und daß ich alles für sie tun würde. Doch könnte ich auf ihren Wunsch weder Soracte noch Vesuvius auf meine Schultern nehmen, den See Trasimenus in der Hand halten oder mein schwarzes Auge in das blaue des Lygiers verwandeln.
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