Quo Vadis
Benevent in die Länge zieht, wünscht er geradewegs nach Griechenland zu reisen und nicht nach Rom zurückzukehren. Tigellinus jedoch rät ihm, wenigstens für eine kurze Zeit die Haupstadt zu besuchen, weil sonst das nach des Cäsars Person, das heißt nach ‚Brot und Spielen‘, übermäßig verlangende Volk sich empören könnte. Darum kann ich Dir nicht sagen, wie sich die Dinge gestalten werden. Sollte Achaia überwiegen, dann werden wir Ägypten nicht sehen. Ich werde mit aller Entschiedenheit darauf bestehen, daß Du kommst, für Deinen Seelenzustand wären nach meiner Meinung Reisen und Vergnügen Arznei, aber am Ende wirst Du uns nicht finden. Erwäge dann, ob nicht die Ruhe auf Deinen sizilianischen Gütern dem Verbleiben in Rom vorzuziehen wäre. Beichte mir haarklein, und lebe wohl! Ich füge diesmal keinen weiteren Wunsch für Dich bei als Gesundheit; bei Pollux, ich weiß auch nicht, was ich Dir wünschen soll.“
Vinicius hatte nach Empfang dieses Briefes wenig Lust, darauf zu antworten. Er erkannte bis zu einem gewissen Grade, daß sich eine Antwort nicht lohne, weil sie keinem Teil Nutzen bringen und nichts erklären würde. Er war mißvergnügt und fühlte die Nichtigkeit dieser Welt. Überdies war er der Überzeugung, daß Petronius ihn gewiß nicht verstehen würde und daß etwas eingetreten sei, was sie voneinander entfernte. Nicht einmal mit sich selber konnte er ins reine kommen. Nach seiner Rückkehr aus dem Stadtteil jenseits des Tibers in seine prächtige Villa fühlte er sich erschöpft und für die ersten Tage befriedigt von der Ruhe, Behaglichkeit und dem Überfluß, die ihn umgaben. Bald jedoch wurde er sich der Vergänglichkeit all dieser Dinge bewußt; er sah ein, daß das, was bisher sein Interesse erregt hatte, entweder überhaupt nicht mehr für ihn existierte oder ganz belanglos geworden war. Die Beziehungen, die ihn bisher mit dem Leben verknüpft, schienen abgeschnitten und keine neuen an deren Stelle getreten zu sein. Der Gedanke, er solle nach Benevent und von dort nach Achaia in ein Leben voll Wollust und Ausschweifung, erzeugte in ihm das Gefühl des Ekels. „Zu welchem Zweck? Was kann ich dabei gewinnen?“ fragte er sich. Zum erstenmal fiel es ihm ein, daß die Unterhaltung des Petronius, sein Witz, seine Lebendigkeit, seine feingeistigen Formulierungen, seine fast zu sorgfältig gewählte Ausdrucksweise ihm lästig werden könnten.
Aber auch die Einsamkeit tat dies. Alle seine Bekannten waren mit dem Cäsar in Benevent, und so fand er sich allein zu Hause mit einem Kopfe voll Gedanken, einem Herzen voll Gefühlen, über die er nicht ins klare kommen konnte. Es gab aber auch Augenblicke, wo ihm war, als ob er sich jemand erschließen sollte, um diese inneren Dinge gewissermaßen zu fassen, zu ordnen, abzuwägen. Nach einigen Tagen des Zögerns entschloß er sich, Petronius zu antworten; und obwohl er nicht wußte, ob er die Antwort absenden werde, schrieb er folgendes:
„Du wünschest, mein Schreiben möge mehr ins einzelne gehen. Ich folge Deinem Wunsche. Ob ich mich deshalb klarer ausdrücken werde, kann ich nicht sagen; denn es sind viele Knoten vorhanden, die ich selbst nicht zu lösen vermag. Ich beschrieb Dir meinen Aufenthalt bei den Christen, ihre Weise, die Feinde zu behandeln, zu denen sie mit vollem Rechte mich und Chilon zählen mußten, endlich die Güte, mit der sie mich pflegten, und Lygias Verschwinden. Nein, mein teurer Freund, nicht als Sohn des Konsuls wurde ich geschont. Solche Rücksichten kennen sie nicht; sie vergaben ja selbst Chilon, obwohl ich sie aufforderte, ihn im Garten zu begraben. Es sind Leute, wie sie die Welt bis jetzt noch nicht gesehen hat, und ihre Liebe ist von einer Art, wie sie bis auf unsere Zeit nicht gehört worden ist. Ich kann nichts anderes sagen, und wer sie mit unserem Maße mißt, der irrt sich. Ich versichere Dir, wenn ich mit dem gebrochenen Arm im eigenen Hause gelegen und meine Angehörigen mich gepflegt hätten, würde ich wohl mehr Bequemlichkeit, aber nicht die Hälfte jener Aufmerksamkeit gefunden haben wie bei ihnen.
Wisse auch, daß Lygia darin nur ist wie die anderen. Wäre sie meine Schwester oder Frau gewesen, sie hätte mich nicht zärtlicher pflegen können. Entzücken erfüllte mein Herz, weil ich meinte, die Liebe allein könne solch zärtliche Sorge einflößen. Mehr als einmal sah ich Liebe in aller Blick, Liebe auf ihrem Antlitz; und – wirst Du mir glauben? – unter diesen schlichten Leuten, in
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