Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Quo Vadis

Quo Vadis

Titel: Quo Vadis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henryk Sienkiewicz
Vom Netzwerk:
Hüne die Stricke und ergriff das Mädchen. Sein Atem flog, das Gesicht war erblaßt, die Haare klebten vom Schweiß zusammen. Seine Schultern und Arme schienen wie in Schweiß gebadet. Im ersten Augenblick stand er halb bewußtlos da, dann erhob er die Augen zu der Menge.
    Das Amphitheater war in ein stürmisches Meer verwandelt. Die Mauern zitterten unter dem Tosen der vieltausendköpfigen Menge. Seit es Spiele gab, war solche Aufregung nicht entstanden. Die zuoberst Sitzenden drängten hinab und füllten die Zwischengänge, um den starken Mann besser zu sehen. Leidenschaftliche Rufe um Gnade wurden laut und gingen bald in einen anhaltenden Donner über. Der Riese war diesen Bewunderern physischer Kraft teuer, die erste Persönlichkeit Roms geworden.
    Er sah, daß die Menge sein Leben geschont und ihm die Freiheit wiedergegeben haben wollte. Allein er dachte nicht an sich allein. Vor Neros Podium hintretend, hielt er ihm das Mädchen auf den Armen entgegen, erhob die flehenden Augen, als ob er sagen wollte:
    „Erbarme dich ihrer! Rette sie! Ich tat es um ihretwillen!“
    Die Zuschauer verstanden ihn vollkommen. Die ohnmächtige Lygia, die neben dem Lygier wie ein Kind erschien, weckte das Mitleid der Senatoren und Patrizier. Ihre schlanke Gestalt, weiß wie Alabaster, die Ohnmacht, die furchtbare Gefahr, der der Riese sie entrissen hatte, und vollends ihre Schönheit rührten alle Herzen. Es war, als flehe ein Vater für sein Kind. Jetzt kam Mitleid zu plötzlichem Ausbruch. Die Menschen hatten Blut, Tod und Marter bis zur Übersättigung gesehen. Schluchzende Stimmen erhoben sich zu ihrem Schutze.
    Inzwischen ging Ursus, das Mädchen immer noch auf den Armen, längs der Arena herum, mit Augen und Bewegungen um ihr Leben bittend. Vinicius sprang an die Brüstung, schwang sich hinüber, eilte auf Lygia zu und deckte ihre Blöße mit seiner Toga. Dann riß er die Tunika von seiner Brust, entblößte die Narben jener Wunden, die er sich im armenischen Kriege geholt hatte, und streckte seine Hände flehend nach den Zuschauern aus.
    Der Enthusiasmus der Römer kannte keine Grenzen mehr. Man stampfte und brüllte, das Geschrei um Gnade wurde geradezu drohend. Man ergriff nicht bloß die Partei des Riesen, sondern auch des Tribuns, des Mädchens und ihrer Liebe zueinander. Nero sah Tausende von zornentflammten Augen und geballten Fäusten auf sich gerichtet.
    Doch er zauderte. Gegen Vinicius hegte er freilich keine Abneigung, und Lygias Tod brachte ihm keinerlei Nutzen. Allein es gelüstete ihn nun einmal, ihren Leib von den Hörnern des Auerochsen zerrissen oder von den Klauen anderer Bestien zerfleischt zu sehen. Seine Grausamkeit, seine entmenschte Phantasie fand an derartigen Szenen Gefallen. Und nun wollte dieses Volk ihn eines Genusses berauben. Sein aufgedunsenes Gesicht überzog sich mit Zornesröte. Eigenliebe verbot ihm nachzugeben; andererseits wagte er es aus angeborener Feigheit nicht, dem Willen der Menge entgegenzuhandeln.
    Er blickte sich um, in der Hoffnung, wenigstens bei den Augustianern abwärts gerichtete Daumen zu sehen. Doch Petronius hielt die Hand empor und blickte Nero fast herausfordernd an. Vestinus, abergläubisch und zur Schwärmerei geneigt, ein Mann, der Gespenster, nicht aber Lebende fürchtete, gab das Zeichen der Gnade. Das gleiche taten der Senator Scaevinus, Nerva, Tullius Senecio, der berühmte Feldherr Ostorius Scapula, Antistius und Piso, Vetus und Crispinus, Minucius Thermus, Pontius Telesinus und der beim Volke vor allem angesehene Thraseas.
    Verächtlich und beleidigt ließ Nero den Smaragd sinken. Tigellinus, dem vor allem daran lag, Petronius zu ärgern, wandte sich an den Cäsar und sagte:
    „Gib nicht nach, Gottheit; wir haben die Prätorianer.“
    Neros Auge suchte die Stelle, wo der grimmige Subrius Flavius, ihm bisher mit ganzer Seele zugetan, an der Spitze der Prätorianer stand, und sah etwas Unerwartetes. Über das strenge Gesicht des alten Tribuns flossen Tränen, indes er die Hand hoch empor hielt.
    Aufs neue tobte der Aufruhr. Staub wirbelte auf unter den stampfenden Füßen. Rufe wie: „Feuerbart! Muttermörder! Brandstifter!“ wurden hörbar.
    Nero erschrak. Im Zirkus waren die Römer die absoluten Herrscher. Frühere Cäsaren, besonders Caligula, hatten es zwar zuweilen gewagt, gegen den Willen der Menge zu handeln; allein dies hatte jedesmal eine Empörung hervorgerufen, die oft mit Blutvergießen endete. Neros Lage war eine andere. Schon als Sänger und

Weitere Kostenlose Bücher