Quo Vadis
Schauspieler war er auf die Gunst der Menge angewiesen, sodann bedurfte er ihrer dem Senat und den Patriziern gegenüber; besonders seit dem Brande Roms lag ihm daran, die Menge zu gewinnen und die Wut des Volkes auf die Christen abzulenken. Er sah ein, daß längerer Widerstand geradezu gefährlich wäre. Eine im Zirkus entstandene Empörung konnte die ganze Stadt ergreifen und unberechenbare Folgen nach sich ziehen.
Er schaute sich noch einmal nach Subrius Flavius, nach dem Zenturio Scaevinus, einem Verwandten des Senators, und den Soldaten um. Nichts als drohendes Stirnrunzeln, erregte Gesichter, auf ihn geheftete Blicke begegneten seinem Auge.
Und er gab das Zeichen der Gnade.
Donnernder Beifall erschütterte den Zirkus von den höchsten Reihen bis zu den untersten. Das Volk hatte das Leben der Verurteilten erlangt; von jetzt an standen sie unter seinem Schutze, und wehe dem Cäsar, sollte er es wagen, die Schützlinge des Volkes ferner zu verfolgen!
LXVII
Vier Bithynier trugen Lygia sorgsam zum Hause des Petronius. Vinicius und Ursus gingen zur Seite und beeilten sich, sie so schnell wie möglich der Sorge eines griechischen Arztes zu übergeben. Sie schritten schweigend des Weges, denn nach den Ereignissen dieses Tages vermochten sie nicht zu reden. Vinicius war nicht bei vollem Bewußtsein. Er wiederholte es sich fortwährend, daß Lygia gerettet sei, nicht länger durch den Kerker und den Tod im Zirkus bedroht werde; daß ihr beiderseitiges Mißgeschick jetzt und für immer beendigt sei, daß er sie heimnehmen werde und sich nie mehr von ihr zu trennen brauche. Es schien ihm alles eher der Anfang eines anderen Lebens als Wirklichkeit. Immer wieder beugte er sich über die offene Sänfte, um das geliebte Antlitz zu sehen, das im Mondlicht wie schlafend erschien, und in seinem Herzen die Worte zu wiederholen: „Sie ist es! Christus hat sie gerettet!“ Er erinnerte sich auch, daß, als er und Ursus Lygia eben aus dem Spoliarium getragen hatten, ein unbekannter Arzt ihm gesagt hatte, sie sei am Leben und würde genesen. Dieser Gedanke rief eine freudige Bewegung in seiner Brust hervor, daß ihm die Füße zuweilen den Dienst versagen wollten und er sich auf den Arm des Ursus stützen mußte. Ursus sah zum Sternenhimmel auf und betete.
Sie kamen rasch vorwärts durch die Straßen, deren neuerbaute weiße Häuser im Mondlicht erglänzten. Die Stadt war menschenleer; nur an einigen Plätzen erblickte man größere Gruppen, die, efeubekränzt, vor den Häusertoren zum Klange der Flöten sangen und tanzten und auf diese Weise die wundervolle Nacht und die Festzeit ausnützten, die seit Beginn der Spiele ununterbrochen gedauert hatte. Erst als sie dem Hause nahe waren, hörte Ursus auf zu beten und sagte mit leiser Stimme, als ob er Lygia zu wecken fürchtete:
„Herr, es war der Erlöser, der sie vom Tode gerettet hat. Als ich sie auf dem Rücken des Auerochsen sah, vernahm ich in meiner Seele eine Stimme, die zu mir sprach: ‚Verteidige sie!‘, und dies war die Stimme des Lammes. Das Gefängnis hatte mir die Kraft genommen, das Lamm aber gab sie mir im rechten Augenblick zurück und begeisterte dieses grausame Volk, sich auf Lygias Seite zu stellen. Gottes Wille geschehe!“
Vinicius erwiderte:
„Gepriesen sei sein Name!“
Dann hielt er inne, weil er sich der Tränen nicht mehr erwehren konnte. Mit unwiderstehlicher Gewalt drängte es ihn, sich auf die Erde zu werfen und dem Erlöser für das Wunder und seine Barmherzigkeit zu danken.
So kamen sie zum Hause; das durch einen vorausgesandten Sklaven benachrichtigte Hausgesinde war schon davor versammelt, um die Kommenden zu empfangen. Den größten Teil dieser Leute hatte Paulus von Tarsus aus Antium als Bekehrte zurückgeschickt. Sie alle kannten das Unglück des Vinicius; ihre Freude war daher groß, als sie Lygia und Ursus Neros Bosheit entronnen sahen, und sie steigerte sich noch, als der Arzt Theokles erklärte, Lygia habe keinen gefährlichen Schaden erlitten und würde sich wieder erholen, sobald die durch das Gefängnisfieber verursachte Schwäche überwunden sei.
In der Nacht kam sie zum Bewußtsein. Da sie in dem prächtig ausgestatteten, von korinthischen Lampen beleuchteten, mit Narden- und Verbenendüften erfüllten Zimmer erwachte, wußte sie nicht, wo sie war oder was mit ihr geschah. Sie gedachte des Augenblicks, wo sie auf dem Rücken des geketteten Auerochsen befestigt worden war, und da sie jetzt das von den milden Strahlen der
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