Quo Vadis
reiche.
Der Lygier war dazu bereit, bückte sich zum Zeichen des Gehorsams und umschlang ihre Knie. Enttäuschung lag in Actes Zügen. Sie hatte ein Wunder erwartet. Vermochte das Gebet nur so viel? Flucht aus des Cäsars Hause war ein Majestätsverbrechen, das die Strafe herausforderte; selbst wenn diese Flucht gelänge, würde Nero an Aulus und Pomponia Rache nehmen. Wenn sie entfliehen wollte, so sollte sie aus dem Hause des Vinicius entfliehen; dann werde Nero, der sich nicht gern in fremde Angelegenheiten mische, vielleicht Vinicius nicht einmal in der Verfolgung unterstützen, jedenfalls wäre es dann keine Majestätsbeleidigung.
Lygia jedoch dachte so: Aulus sollte ihren Aufenthaltsort nicht kennen, Pomponia gleichfalls nicht. Sie wollte nicht aus Vinicius’ Hause entfliehen, sondern auf dem Wege dahin. In der Betrunkenheit hatte Vinicius erklärt, er werde sie am Abend abholen lassen. Zweifellos war das die Wahrheit, die er in nüchternem Zustande nicht gesagt hätte. Offenbar hatte er selber, vielleicht gemeinsam mit Petronius, vor dem Feste mit Nero gesprochen und diesem das Versprechen abgewonnen, sie am folgenden Tage holen zu dürfen. Und wenn er es heute vergäße, würde er morgen nach ihr schicken. Doch Ursus würde sie retten. Er würde erscheinen und sie aus der Sänfte heben, wie er sie aus dem Triclinium geführt, und dann würden sie in die weite Welt hinauswandern. Niemand könnte ja Ursus widerstehen, selbst jener furchtbare Athlet nicht, der gestern beim Gelage gerungen. Doch weil Vinicius möglicherweise eine große Zahl von Sklaven senden würde, sollte Ursus sogleich zu Bischof Linus gehen, um Hilfe und Rat zu holen. Der Bischof würde Mitleid mit ihr haben und Christen beauftragen, Ursus beizustehen. Vereint würden diese sie entführen; dann möge Ursus mit ihr aus der Stadt entfliehen und sie vor der Macht Roms verbergen.
Ihre Wangen bedeckten sich mit Röte, Hoffnung erfüllte sie von neuem. Sie warf sich an Actes Brust, küßte sie zärtlich auf die Wange und flüsterte:
„Du wirst uns nicht verraten, nicht wahr?“
„Beim Schatten meiner Mutter, nein“, antwortete die Griechin. „Doch bitte Gott, daß Ursus imstande ist, dich zu entführen.“
Die blauen kindlichen Augen des Riesen glänzten vor Freude. Er selbst wäre unfähig gewesen, einen Plan zu schmieden, sosehr er sich auch den armen Kopf darüber zerbrochen hätte. Doch diesen konnte er ausführen – ob bei Tag oder bei Nacht, danach fragte er nicht. Er wollte zum Bischof gehen; denn der Bischof kann am Himmel lesen, was nötig ist und was nicht. Überdies kann er selber auch Christen um sich sammeln, da er so viele Bekannte unter den Sklaven, den Gladiatoren und den Freien hat, sowohl in der Subura als jenseits der Brücken. Einige Tausende kann er zusammenbringen. Ursus will seine Herrin befreien und mit ihr aus Rom entfliehen. Dann gehen sie miteinander bis ans Ende der Welt, bis zu ihrem Stamme, wo niemand von Rom etwas weiß. Hier begann er forschend vorwärtszuschauen, wie um die Zukunft zu ergründen.
„In den Wald! Ah, welch ein Wald, welch ein Wald!“
Nach einer Weile schüttelte er diese Betrachtungen ab. Ja, den Bischof wollte er gleich aufsuchen und am Abend mit ungefähr hundert Mann die Sänfte erwarten. Dann sollten keine Sklaven und selbst keine Prätorianer ihm Lygia entreißen. Besser wäre es, ihm nicht unter seine Faust zu kommen, auch nicht in eiserner Rüstung. Ein so starkes Eisen gäbe es gar nicht, daß, wenn er ernstlich zuschlüge, der Mann darunter den Hieb überlebte.
Lygia erhob den Finger mit kindlichem Ernste.
„Ursus, du sollst nicht töten“, sagte sie.
Ursus legte seine einem Hammer ähnliche Faust an den Hinterkopf und murrte, er müsse doch „sein Licht“ befreien. Sie selber habe gesagt, die Reihe sei nun an ihm. Er wolle alles versuchen. Falls aber doch etwas gegen seinen Willen geschähe? Sie zu retten sei die Hauptsache. Sollte etwas geschehen, so wollte er es bereuen und so eifrig zum unschuldigen Lamm beten, daß es seiner, des armen Ursus, sich erbarme; aber seine Hände seien nun einmal so schwer.
Große Zärtlichkeit sprach aus seinen Worten; er wollte das nicht sehen lassen, verbeugte sich deshalb und sagte:
„Nun will ich zum heiligen Bischof gehen.“
Acte warf den Arm um Lygias Hals und begann zu weinen. Zum zweitenmal ahnte die Freigelassene, daß es eine Welt gäbe, wo selbst im Leiden ein größeres Glück wohnte als in all der Pracht und Wollust
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