Quo Vadis
lieben dich wie ihr eigenes Kind. Ich bin gewiß, daß sie bereit sind, dich zu adoptieren. Vinicius könnte dich heiraten, Lygia.“
Aber Lygia antwortete still und mit noch größerer Betrübnis:
„Ich würde lieber zu den Lygiern fliehen.“
„Lygia, wünschst du, daß ich direkt zu Vinicius gehe, ihn wecke, wenn er schläft, und ihm sage, was ich dir sagte? Ja, meine Liebe, ich will zu ihm gehen und sagen: ‚Vinicius, Lygia ist eine Königstochter und dem Aulus so lieb wie ein eigenes Kind. Wenn du sie liebst, dann gib sie Aulus und Pomponia zurück und nimm sie als Weib aus ihrem Hause!‘ “
Aber das Mädchen antwortete mit so leiser Stimme, daß Acte sie kaum hören konnte:
„Ich würde lieber zu den Lygiern fliehen.“
Und zwei Tränen hingen an Lygias Wimpern.
Die weitere Unterhaltung wurde durch das Geräusch sich nähernder Schritte gehemmt, und ehe Acte Zeit hatte, zu sehen, wer da kam, erschien Poppäa Sabina vor der Bank mit einem kleinen Gefolge von Sklavinnen. Zwei von ihnen hielten über ihrem Haupte Büschel von Straußenfedern an zierlichen Goldgriffen. Damit fächelten sie leicht und beschützten Poppäa zugleich vor der heißen Herbstsonne. Voraus ging die wohlgenährte äthiopische Amme, schwarz wie Ebenholz, mit einem Kinde in den Armen, das in goldverbrämten Purpur gehüllt war. Acte und Lygia erhoben sich, in der Meinung, daß Poppäa an der Bank vorübergehen würde, ohne ihnen ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden; aber sie hielt vor ihnen und sagte:
„Acte, die Glöckchen, die du für die Puppe sandtest, waren schlecht befestigt; das Kind riß eins ab und steckte es in den Mund. Glücklicherweise sah es Lilith rechtzeitig.“
„Verzeih, Göttliche“, antwortete Acte, indem sie die Arme auf der Brust kreuzte und das Haupt beugte.
Poppäa begann Lygia anzustarren.
„Was für eine Sklavin ist das?“ fragte sie nach einer Pause.
„Sie ist keine Sklavin, göttliche Augusta, sondern ein Pflegekind von Pomponia Graecina und eine Tochter des Lygierkönigs, die dieser als Geisel nach Rom gegeben.“
„Und sie ist gekommen, dich zu besuchen?“
„Nein, Augusta, sie wohnt im Palast seit vorgestern.“
„War sie die letzte Nacht bei dem Feste?“
„Ja, sie war dabei, Augusta.“
„Auf wessen Befehl?“
„Auf des Cäsars Befehl.“
Poppäa sah Lygia noch aufmerksamer an. Das junge Mädchen stand da mit gesenktem Haupte, bald neugierig die hellen Augen zu Poppäa erhebend, bald sie mit den Lidern bedeckend. Plötzlich brach ein düsterer Blick aus den zusammengezogenen Brauen der Augusta hervor. Eifersüchtig auf ihre eigene Schönheit und Macht, lebte sie in beständiger Furcht, eines Tages möchte eine glückliche Rivalin sie zugrunde richten, wie sie selber es mit Oktavia getan hatte. Darum weckte jedes schöne Antlitz im Palaste ihren Verdacht. Mit dem Auge eines Kenners betrachtete sie Lygias Gestalt in jeder Einzelheit, prüfte die Gesichtszüge und erschrak. „Das ist ja eine Nymphe“, dachte sie, „und von der Venus geboren.“ Es wurde ihr bewußt, was nie zuvor beim Anblick irgendeiner Schönheit der Fall gewesen war, daß sie selber alterte. Verletzte Eitelkeit und Unruhe ergriffen Poppäa, und verschiedene Befürchtungen schossen durch ihren Kopf. „Vielleicht hat Nero das Mädchen nicht gesehen oder seine Schönheit nicht erkannt. Aber was würde geschehen, sollte er solch eine Wunderblume eines Tages mit Bewußtsein erblicken! Überdies ist das Mädchen keine Sklavin, es ist die Tochter eines Königs, eines Königs der Barbaren zwar, dennoch eines Königs. Unsterbliche Götter! Sie ist so schön wie ich und dazu jünger.“ Die Falten zwischen Poppäas Brauen mehrten sich, ihre Augen begannen sarkastisch und in kaltem Glanze zu funkeln.
„Hast du mit dem Cäsar gesprochen?“
„Nein, Augusta.“
„Warum willst du lieber hier sein als im Hause des Aulus?“
„Ich will es gar nicht, Herrin; Petronius überredete den Cäsar, mich Pomponia zu nehmen. Ich bin hier gegen meinen Willen.“
„Und würdest du zu Pomponia zurückkehren?“
Diese letzte Frage stellte Poppäa mit einer sanfteren Stimme. Daher erhob sich eine unvermutete Hoffnung in Lygias Herz.
„Herrin“, sagte sie, ihre Hand nach ihr ausstreckend, „der Cäsar versprach, mich Vinicius als Sklavin zu geben; aber du legst Fürsprache für mich ein und bringst mich zu Pomponia zurück.“
„Also Petronius überredete den Cäsar, dich dem Aulus zu nehmen und dem Vinicius zu
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