Pendergast 05 - Burn Case - Geruch des Teufels
1
Agnes Torres stellte ihren weißen Ford Escort auf der schmalen Parkfläche vor der fast vier Meter hohen Hecke ab, stieg aus und atmete tief die kühle Morgenluft ein. Ein kurzer Blick nach oben bestätigte ihr, was sie ohnehin wusste: Mehr als das spitze Schindeldach war von dem großen Haus nicht auszumachen. An der dichten Hecke prallten neugierige Blicke wie an einer Backsteinmauer ab.
Sie verschloss sorgfältig den Wagen – eine Vorkehrung, die ihr selbst in dieser gepflegten Wohngegend geboten schien –, suchte den passenden Schlüssel an ihrem umfangreichen Schlüsselbund und schob ihn ins Schloss. Das wuchtige, schmiedeeiserne Tor schwang auf und gab den Blick auf die Rasenfläche frei, die sich knapp dreihundert Meter weit bis zu dem von zwei Dünen gesäumten Strand erstreckt. Doch dann fing auf einem Tastenfeld direkt hinter dem Tor ein rotes Lämpchen zu blinken an – ein Warnzeichen, das ihre Nerven flattern ließ, denn von nun an blieben ihr nur dreißig Sekunden, um den Code einzugeben. Danach würde der Alarm ausgelöst. Einmal war ihr der Schlüsselbund aus der Hand gerutscht, und weil sie deshalb den Code nicht rechtzeitig eingeben konnte, hatte prompt die Alarmsirene losgeheult und die ganze Nachbarschaft aufgeweckt. Die Polizei war mit drei Streifenwagen angerückt, und Mr Jeremy hatte vor Wut Gift und Galle gespuckt – es war einfach schrecklich gewesen!
Diesmal schaffte sie es, alle Kennziffern rechtzeitig einzutippen, die Kontrolllampe zeigte grünes Licht, das Tor schloss sich. Sie atmete erleichtert auf und bekreuzigte sich dankbar. Alsdann griff sie zum Rosenkranz, fasste die erste Perle mit zwei Fingern, und da sie wusste, dass sie nun gegen alle Unbill gerüstet war, schickte sie sich an, den Rasen zu überqueren. Wie immer, wenn sie das Grove’sche Anwesen betrat, ging sie langsam und betete dabei leise und auf Spanisch ein paar Perlen des Rosenkranzes.
Das weitläufige, düstere Haus war in Dunkel gehüllt, nur aus dem winzigen Fenster im Dachgiebel fiel ein gelber Lichtschimmer, der Agnes ein wenig an das missgünstig blinzelnde Auge eines Zyklopen erinnerte. Während über ihr unablässig mit schrillem Schreien die Seemöwen kreisten, wunderte sie sich ein wenig über den gelblichen Schimmer, denn sie hatte im Giebelfenster noch nie Licht gesehen. Was um alles in der Welt mochte Mr Jeremy morgens um sieben auf den Dachboden gelockt haben, obwohl er doch gewöhnlich nie vor der Mittagszeit aufstand?
Sie beendete ihr morgendliches Gebet und steckte den Rosenkranz ein, freilich nicht, ohne die in vielen Putzfrauenjahren rau gewordene Hand von der Stirn über den Mund zum Herzen huschen zu lassen.
Hoffentlich war Mr Jeremy noch nicht aufgestanden. Sie hatte es lieber, wenn sie ihrer Arbeit allein und ungestört nachgehen konnte, alles andere bereitete ihr nur zusätzliche Mühe. Mal ließ er da, wo sie eben gewischt hatte, Zigarettenasche auf den Boden fallen, mal stellte er ihr, wenn sie gerade mit dem Abwasch fertig war, sein Frühstücksgeschirr in die Spüle. Und die gotteslästerlichen Flüche, die er bei der Lektüre der Morgenzeitung ausstieß, waren ihr genauso zuwider wie seine Angewohnheit, nach dem Frühstück zum Telefon zu greifen und mit irgendeinem Freund – lautstark und wieder von grässlichen Flüchen begleitet – die politische Lage zu diskutieren. Wie sollte ein Christenmensch da seinen Seelenfrieden finden? Mr Jeremys Stimme hörte sich wie ein rostiges Messer an, sie ging ihr durch Mark und Bein. Er war von hagerer, mittelgroßer Gestalt, stank nach Zigarettenrauch, trank zum Lunch Branntwein und frönte Tag und Nacht Vergnügungen, die Agnes samt und sonders für verderbt und unschicklich hielt. Einmal hatte er partout Spanisch mit ihr sprechen wollen, aber dem hatte sie rasch und ein für alle Mal einen Riegel vorgeschoben. Sie war durchaus in der Lage, sich hinlänglich auf Englisch zu verständigen, also hatte außer ihrer Familie und ein paar guten Freunden gefälligst niemand Spanisch mit ihr zu sprechen! Andererseits, unter den vielen Arbeitgebern, die sie im Laufe der Jahrzehnte kennen gelernt hatte, war keiner so korrekt gewesen wie Mr Jeremy. Er zahlte gut und pünktlich, verlangte nie von ihr, bis spät in den Abend hinein zu bleiben, hielt sich an die vereinbarten Tage und Stunden und wäre nie auf den Gedanken gekommen, ihr zu unterstellen, sie mache womöglich lange Finger. Anfangs hatte er bei seinen Flüchen oft in ihrer Gegenwart den
Weitere Kostenlose Bücher