Quo Vadis
Kapitol, wandte sich über die Brücke des Fabricius der Insel zu und durchlief dann den Stadtteil jenseits des Tibers. Es war aber ein sinnloses Suchen; er hegte selber keine Hoffnung, Lygia zu finden, und wenn er sie dennoch suchte, so geschah es, um eine schreckliche Nacht damit auszufüllen. Bei Tagesanbruch kehrte er heim, als die Karren und Esel der Gemüsekrämer in den Straßen auftauchten und die Bäcker ihre Läden zu öffnen begannen.
In seinem Hause gab er Befehl, Gulos Leiche wegzuschaffen. Niemand hatte sie zu berühren gewagt. Die Sklaven, denen Lygia entrissen worden war, sandte er ins Ergastulum, eine Strafe, beinahe furchtbarer als der Tod. Endlich warf er sich auf ein Polster im Atrium, um auf Mittel zur Ergreifung Lygias zu sinnen.
Auf Lygia zu verzichten, sie zu verlieren, sie nicht wiederzusehen, schien ihm unmöglich. Rasende Wut ergriff ihn beim bloßen Gedanken. Zum erstenmal war die eigenwillige Natur des jungen Kriegers auf Widerstand, auf einen anderen unbeugsamen Willen gestoßen; er konnte schlechterdings nicht begreifen, wie jemand es wagen durfte, seine Wünsche zu durchkreuzen. Lieber hätte er Rom und die Welt in Trümmer versinken als seine Pläne vereitelt sehen wollen. Der Becher des Genusses war ihm sozusagen von den Lippen weg entrissen worden; drum schien es ihm, als sei etwas Unerhörtes geschehen, das nach göttlichem und menschlichem Gesetze nach Rache schreie.
Vor allem aber konnte er sich in die Umstände nicht ergeben, weil er nie zuvor etwas so heiß begehrt hatte wie Lygia. Ohne sie glaubte er nicht leben zu können. Er durfte gar nicht daran denken, morgen ohne sie sein zu müssen. Bisweilen fühlte er eine an Wahnsinn grenzende Wut gegen sie. Er wünschte ihrer habhaft zu werden, um sie zu schlagen und sie an den Haaren ins Cubiculum zu schleppen; dann wieder erfaßte ihn namenlose Sehnsucht nach ihrer Stimme, ihrer Gestalt, ihren Augen, und er hätte zu ihren Füßen niederknien können. Er rief ihren Namen, biß sich die Finger wund und schlug sich mit den Fäusten vor den Kopf. Er bemühte sich, ruhig nachzudenken, wie er sie bekommen könnte – umsonst. Tausend Mittel und Wege jagten in wildem Durcheinander durch seinen Kopf. Schließlich blitzte der Gedanke in ihm auf, niemand anders als Aulus könne sie geraubt haben; in jedem Falle wisse dieser ihr Versteck. Sogleich sprang er empor, um zur Wohnung des Aulus zu eilen.
Sollte dieser sie nicht herausgeben und seine Drohungen mißachten, so würde er zu Nero eilen, den alten Feldherrn des Ungehorsams anklagen und sein Todesurteil erwirken; zuvor jedoch wollte er ihm das Geheimnis ihres Aufenthaltes entreißen. Auch wenn er das Mädchen freiwillig auslieferte, würde Vinicius Rache nehmen.
Zwar hatten Aulus und Pomponia ihn einst gepflegt – doch das galt nichts mehr. Mit diesem ihm zugefügten Unrecht hatten sie die Schuld der Dankbarkeit von ihm abgenommen.
Bei dieser Betrachtung malte sich seine rachedurstige Seele mit Behagen Pomponias Verzweiflung aus, wenn der Zenturio das Todesurteil über Aulus bringen würde. Er war gewiß, ein solches zu erwirken. Petronius würde ihn unterstützen. Überdies versagte Nero seinen Freunden, den Augustianern, nie etwas, es sei denn, daß seine persönliche Abneigung oder seine eigene Begierde es forderte.
Plötzlich hörte sein Herz beinahe zu schlagen auf. Ein fürchterlicher Argwohn flog durch seine Seele.
„Wie, wenn nun der Cäsar selber Lygia entführt hätte?“
Jedermann wußte, daß Nero zu nächtlichen Überfällen Zuflucht nahm, um seine Langeweile zu töten. Sogar Petronius nahm öfter teil daran. Ihr Hauptvergnügen dabei war, Weiber zu fangen und so lange auf einem Soldatenmantel emporzuschnellen, bis sie das Bewußtsein verloren. Nero nannte bei Gelegenheit diese „Kriegszüge“ Perlenfischerei, weil es oft geschah, daß in Stadtteilen, wo eine zahlreiche arme Bevölkerung hauste, eine wahre Perle an jugendlicher Schönheit ihnen in die Hände fiel. In diesem Falle wurde die Sagatio – das Werfen mit dem Mantel – in eine richtige Entführung umgewandelt und die Perle entweder auf den Palatin oder in eine von Neros ungezählten Villen gebracht, oder der Cäsar schenkte sie einem seiner Freunde. So mochte es auch mit Lygia geschehen sein. Der Cäsar hatte sie beim Feste erblickt, und Vinicius zweifelte keinen Augenblick, daß sie ihm als das schönste Weib, das er je gesehen, erschienen sein müsse. Wie konnte es anders sein? Freilich war Lygia
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