Quo Vadis
in Neros Hause gewesen, und er hätte sie offen für sich nehmen können. Doch hatte Nero, wie Petronius richtig bemerkt hatte, keinen Mut zum Verbrechen, und wenn er sich auch alles erlauben durfte, so zog er es doch stets vor, es in der Dunkelheit zu vollbringen. Diesmal mochte ihm die Furcht vor Poppäa die Heimlichkeit ratsam scheinen lassen. Der junge Krieger erinnerte sich nun, daß Aulus kaum die Tollkühnheit besäße, ein ihm, Vinicius, vom Cäsar zugesprochenes Mädchen mit Gewalt zu entführen. Wer könnte überhaupt so verwegen sein? Vielleicht jener blauäugige Lygier, der den Mut gehabt hatte, ins Triclinium zu treten und Lygia wegzuführen? Wo konnte er sie denn verbergen? Wohin sie führen? Nein! Soweit durfte ein Sklave sich nicht erfrechen. Folglich konnte es nur die Tat des Cäsars sein.
Bei dieser Folgerung dunkelte es vor seinen Augen, und Schweißtropfen erschienen auf seiner Stirn. Dann war ja Lygia für immer für ihn verloren. Jedem anderen Arme hätte er sie wieder entreißen können, dem Arme des Cäsars nicht Mit besserem Rechte denn je konnte er rufen: Vae misero mihi! Im Geiste sah er Lygia in Neros Armen und fühlte zum erstenmal in seinem Leben, daß es Empfindungen gibt, die schlechterdings über die Kraft eines Menschen hinausgehen. Erst jetzt fühlte er, wie heiß er sie liebte. Ein Ertrinkender sieht sein ganzes Leben noch einmal vor seinem Geiste vorbeiziehen; so ging es Vinicius mit Lygia. Er sah sie und hörte jedes ihrer Worte – er sah sie bei der Fontäne, im Hause des Aulus, beim Feste. Sie schien ihm nun noch tausendmal schöner, begehrenswerter als je, tausendmal würdiger, unter Göttern und Menschen die einzig Auserwählte zu sein. Und wie er nun daran dachte, daß all dies, was den Inbegriff seines Lebens bildete, vielleicht im Besitze Neros sei, empfand er einen rein physischen, doch so schneidenden Schmerz, daß er versucht war, den Kopf an die Wand des Atriums zu stoßen, bis er zerschmettert wäre. Er fühlte sich dem Wahnsinn nahe, der ihn sicher ergriffen hätte, wäre ihm nicht die Rache geblieben. Und hatte er bis jetzt gemeint, ohne Lygia nicht leben zu können, so dachte er nunmehr, nicht sterben zu können, bevor sie gerächt sei. Dies gab ihm eine gewisse Erleichterung. „Ich will dein Cassius Chärea sein!“ sprach er zu sich selber in bezug auf Nero. Nach einer Weile ergriff er eine Handvoll Erde aus den Blumentöpfen um das Impluvium herum und schwur einen fürchterlichen Eid zu Erebus, Hekate und seinen Hausgöttern, in der Rache nicht zu erlahmen.
Das gab ihm einen gewissen Trost. Er hatte wenigstens ein Lebensziel, eine Aufgabe, die seine Tage und Nächte beschäftigen konnte. Er gab also den Besuch bei Aulus auf und ließ sich auf den Palatin tragen. Unterwegs überlegte er, wenn er nicht vorgelassen würde oder falls man ihn nach Waffen durchsuchte, so wäre dies ein Beweis dafür, daß der Cäsar ihm das Mädchen geraubt habe. Er trug keine Waffen bei sich. Im allgemeinen war ihm alles klare Nachdenken verlorengegangen, es gab für ihn nur noch den einen Gedanken an Rache. Er wollte vermeiden, daß sie ihm vorzeitig vereitelt wurde. Vor allem mußte er Acte sprechen, um vielleicht von ihr die Wahrheit zu vernehmen. Zuweilen dachte er, möglicherweise auch Lygia zu sehen, und der Gedanke machte ihn zittern. Denn falls der Cäsar sie entführt hatte, ohne zu ahnen, wer sie sei, so würde er sie vielleicht heute noch zurückgeben. Aber Vinicius ließ die Vermutung bald wieder fahren. Denn wenn Nero sie hätte zurückgeben wollen, so hätte er das gestern schon getan. Acte war die einzige, die alles aufklären konnte; zu ihr mußte er vor allem.
Als er zu diesem Entschluß gekommen war, trieb er die Sklaven zur Eile an und grübelte unterwegs weiter, über Lygia und über seine Rache. Er hatte gehört, ägyptische Priester der Göttin Pacht könnten mit Krankheit behaften, wen immer sie wollten. Er beschloß, von ihnen das Mittel dazu zu erfahren. Im Orient war ihm gesagt worden, die Juden hätten gewisse Beschwörungsformeln, mit denen sie die Körper ihrer Feinde mit Geschwüren zu bedecken fähig seien. Unter seinen Sklaven waren einige Juden, und er beschloß, sie so lange zu foltern, bis sie das Geheimnis verrieten. Am liebsten dachte er an das kurze römische Schwert, mit Hilfe dessen man ganze Ströme von Blut hervorbringen konnte, wie es bei Gaius Caligula geflossen war und an den Säulen des Portikus Spuren hinterlassen hatte. Er war
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