Quo Vadis
recht hat, und warte.
Er hat auch erfahren, daß sie Versammlungsorte zum Beten haben, häufig außerhalb der Stadt, in leeren Häusern und Sandgruben. Dort beten sie Christus an, singen Hymnen und halten Abendmahle. Aber es gibt viele solche Orte. Chilon vermutet, Lygia besuche absichtlich andere als Pomponia, damit diese im Falle gerichtlicher Untersuchung unbefangen beschwören könne, ihr Versteck nicht zu kennen. Zu vermuten ist, daß die Presbyter Vorsicht anbefohlen haben. Wenn Chilon diese Orte auskundschaftet, so will ich ihn begleiten, und wenn die Götter mir Lygia zeigen, so schwöre ich, daß sie mir diesmal nicht entrinnen soll.
Ich denke beständig an diese Gebetsorte. Chilon ist unwillig darüber, daß ich ihn begleiten will, er fürchtet sich. Aber ich kann nicht daheim bleiben. Ich würde sie augenblicklich erkennen, selbst in Verkleidung oder hinter einem Schleier. Sie versammeln sich bei Nacht; doch selbst zur Nachtzeit will ich sie herausfinden, wenn es auch nur an der Stimme oder den Bewegungen wäre. Ich will selber in Verkleidung hingehen und jede Person mustern, die aus oder ein geht. Unaufhörlich denke ich an ihre Erscheinung und muß sie erkennen. Morgen kommt Chilon, und dann gehen wir hin. Ich werde Waffen tragen. Einige meiner Sklaven, die ich in die Provinzen sandte, kehrten unverrichtetersache zurück. Ich bin gewiß, daß sie sich in Rom befindet, vielleicht nicht weit von mir. Unter dem Vorwande, mieten zu wollen, habe ich mehrere Häuser durchforscht. Bei mir bekommt sie es tausendmal schöner; denn dort, wo sie ist, lebt ein Gewimmel von armen Leuten. Überdies wird mir für sie nichts zu teuer sein. Du schreibst, ich hätte gut gewählt. Zuerst besuchen wir die Häuser in der Stadt und gehen dann erst vor die Tore hinaus. Die Hoffnung wird jeden Morgen neu geboren; das Leben wäre sonst unausstehlich. Du sagst, man müsse das Leben verstehen. Ich weiß, wie ich zu Lygia von Liebe sprechen will. Jetzt kann ich nichts anderes tun als schmachten. Ich warte auf Chilon. Das Leben wird mir unerträglich. Lebe wohl!“
XVI
Chilon aber ließ sich längere Zeit nicht mehr blicken, und Vinicius wußte nicht, wie er sein Fernbleiben erklären sollte. Umsonst sagte er sich, daß eine erfolgreiche Nachforschung Zeit brauche. Sein Temperament, sein heißes Blut lehnten sich gegen die Erwägungen der Vernunft auf. Unmöglich konnte er sich damit abfinden, untätig und mit gebundenen Händen zu warten, aber länger die Gassen der Stadt im dunklen Gewande eines Sklaven zu durchstreifen schien ihm entwürdigend. Obgleich seine Freigelassenen Männer von Erfahrung waren und ungehindert suchen konnten, zeigten sie sich doch viel weniger geschickt als Chilon. Neben seiner Liebe zu Lygia erwachte jetzt etwas in ihm, das der Hartnäckigkeit des leidenschaftlichen Spielers glich. Vinicius war immer so gewesen. Von frühester Jugend an hatte er stets das getan, was er mit einer Leidenschaft wünschte, die keinen Mißerfolg kennt und keiner Einschränkung weicht. Wohl hatte die militärische Zucht seinen Eigenwillen für einige Zeit gebändigt, ihm zugleich aber auch die Überzeugung tief eingeprägt, daß seine Befehle unbedingt vollzogen werden müßten. Sein langes Verweilen im Orient unter einem an sklavischen Gehorsam gewöhnten Volke bestärkte ihn im Glauben, daß es für sein „Ich will!“ keine Einschränkung gäbe. Zudem war auch seine Eitelkeit tief verwundet. Lygias Widerstand, ihre Flucht war für ihn etwas Unverständliches, ein Rätsel. Um es zu lösen, zermarterte er sich den Kopf. Er fühlte, daß Acte die Wahrheit gesagt habe, daß Lygia ihn liebe. Aber wenn dem so war, warum zog sie dann ein heimatloses, armseliges Leben seiner Liebe und Zärtlichkeit und der Wohnung in seinem prächtigen Palaste vor? Darauf fand er keine Antwort; er gelangte nur zu einer unklaren Vorstellung davon, daß zwischen seiner und des Petronius Welt auf der einen und der Welt Lygias und Pomponias auf der anderen Seite ein Unterschied bestehe, tief wie ein Abgrund, den nichts auszugleichen imstande sei. Darum schien es ihm, als müsse er Lygia verlieren, und dieser Gedanke raubte ihm den ganzen Rest des inneren Gleichgewichts, das Petronius in ihm zu erhalten wünschte. Er hatte Augenblicke, wo er nicht wußte, ob er Lygia liebte oder haßte, nur eines war ihm klar, daß er sie finden müsse; lieber hätte er sich von der Erde verschlingen lassen, als sie nicht zu sehen, sie nicht zu besitzen. Zuweilen
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