Quo Vadis
Tribun, ich versprach dir, Lygia ausfindig zu machen, doch nicht, sie für dich zu entführen. Bedenke, Herr, wie es mir erginge, wenn der lygische Bär, nachdem er Glaukos in Stücke zerrissen, sich überzeugen sollte, daß der Mord nicht ganz gerecht war. Würde er nicht mich – selbstverständlich ohne Grund! – als den Urheber des vollbrachten Mordes bezeichnen? Vergiß nicht, Herr: Je größer ein Philosoph, um so schwieriger für ihn, die törichten Fragen einfältiger Leute zu beantworten. Was würde ich erwidern können, falls man mich fragte, warum ich Glaukos verleumdet habe? Doch wenn du mir nicht traust, so bezahle mich erst dann, wenn ich dir Lygias Wohnung weise. Zeige mir heute bloß einen Teil deiner Freigebigkeit, so daß ich, wenn dich etwa (was alle Götter verhüten mögen) ein Unfall treffen sollte, nicht ganz unbelohnt bleibe. Dein gutes Herz würde das nicht ertragen.“
Vinicius trat zur Arca, einem Kästchen, das auf einem marmornen Sockel stand. Er entnahm ihm einen Beutel, den er Chilon zuwarf.
„Hier ist Silber“, sagte er, „sobald Lygia in meinem Hause ist, bekommst du den gleichen Beutel voll Gold.“
„Du bist ein zweiter Jupiter!“ rief Chilon aus.
Doch Vinicius zog die Brauen zusammen.
„Du bekommst hier zu essen“, sagte er, „nachher magst du ausruhen. Vor Abend wirst du das Haus nicht verlassen, und sobald es Nacht wird, begleitest du mich ins Ostrianum.“
Furcht und Zaudern spiegelten sich eine Zeitlang in den Zügen des Griechen. Schließlich faßte er sich und sagte:
„Wer darf dir widerstehen, Herr! Schon dies“ – er ließ den Beutel klingeln – „übertönt die zaghaften Stimmen in mir, gar nicht zu reden von deiner Gesellschaft, die für mich Glück und Wonne bedeutet.“
Vinicius unterbrach ihn ungeduldig und verlangte Näheres über seine Unterredung mit Ursus zu hören. Der Mitteilung entnahm er, daß er diesen Abend entweder Lygias Versteck entdecken oder sie auf dem Heimweg ergreifen könnte. Wilde Freude erfaßte ihn bei diesem Gedanken. Jetzt, wo er beinahe darauf zählen konnte, Lygia zu finden, war sein Groll gegen sie fast gänzlich verraucht. Er verzieh ihr ihre Flucht, dachte an sie bloß als an die Geliebte und Ersehnte. Es war ihm, als ob sie von einer langen Reise zurückkehren sollte. Er hätte seine Sklaven herrufen mögen, damit sie sein Haus mit Kränzen zierten; nicht einmal über Ursus war er länger zornig. Er hätte allen alles verzeihen können. Chilon, gegen den er bis jetzt trotz seiner Dienste eine gewisse Abneigung gehegt hatte, erschien ihm jetzt auf einmal als ein zwar sonderbarer, aber unterhaltsamer und sogar ungewöhnlicher Mensch. Sein Haus kam ihm schöner vor, sein Antlitz strahlte. Er fühlte sich wieder jung und lebenslustig. Seine frühere Trauer hatte ihm nicht das wahre Maß seiner Liebe zu Lygia gezeigt; erst jetzt erkannte er es, da er hoffen durfte, sie zu besitzen. Er lebte wieder auf, wie die Erde im Frühling unter der Sonnenwärme erwacht. Doch war er diesmal weniger blind und wild, sondern freudiger, inniger. Unbegrenzte Tatkraft regte sich in ihm, und er war überzeugt, daß, wenn er nur Lygia mit eigenen Augen sähe, alle Christen der Welt, ja der Cäsar selbst sie ihm nicht wieder entreißen könnten.
Chilon, den die Freude des jungen Patriziers kühner machte, bot nun seinen Rat an. Nach seiner Ansicht sollte Vinicius die Sache noch nicht als gewonnen betrachten und die größte Vorsicht anwenden, weil sonst der Erfolg von neuem in Frage gestellt werden könnte. Er beschwor Vinicius, Lygia nicht direkt aus dem Ostrianum zu entführen. Sie müßten verhüllten Hauptes dorthin gehen und sich damit begnügen, aus einem dunklen Winkel die Anwesenden zu beobachten. Falls sie Lygia erblickten, würde es geraten sein, ihr aus der Entfernung zu folgen, das Haus, das sie betrete, sich zu merken, es am nächsten Morgen bei Tagesanbruch zu umzingeln und sie am hellen Tage abzuholen. Da sie als Geisel eigentlich dem Cäsar gehöre, dürften sie dies ungescheut tun. Käme sie jedoch nicht ins Ostrianum, so würden sie Ursus nachgehen, und der Erfolg wäre der gleiche. Es würde unvorsichtig sein, eine Schar Sklaven ins Ostrianum mitzunehmen, weil das leicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken könnte; denn da brauchten ja die Christen bloß die Lichter auszulöschen, wie sie es damals bei der Befreiung getan, und sich in der Dunkelheit zu zerstreuen oder geheimgehaltene Orte aufzusuchen. Vinicius und er würden
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